Die Strafe - The Memory Collector
darauf, dass Dad endlich durch die Tür trat, aber er kam nicht. Wieder eine Nacht, die er nicht zu Hause verbracht hatte. Und die Männer waren da draußen.
Seth drückte das Klebeband um den Steg seiner Brille fest, das sie zusammenhielt. Heute hatte er die Männer gesehen. Er bemühte sich, sie innerlich von sich wegzuschieben, sie in einen Winkel seines Gedächtnisses zu verbannen wie Kakerlaken, aber immer wieder drängten sie heran und ergriffen Besitz von seinen Gedanken. Grinsten, machten eklige Geräusche, verspotteten ihn, drohten ihm. Außerdem
hatte er das Gefühl, dass heute irgendwas passiert war. Vance war ihm den ganzen Tag auf der Pelle gesessen. Der Pseudorapper war so nervös gewesen, als würden ihn Bienen umschwirren.
»Du bist sicher«, hatte er gesagt. »Und wenn du willst, dass das so bleibt, dann sei schön brav. Sag bitte und danke, Sir .«
Sicher. Was hieß das? Sicher wie »geschützt«? Sicher in dem Sinn, dass alles andere gefährlich war? Seth hatte den Eindruck, dass in Vance’ Welt heute was Schlimmes passiert war. Und danach zu urteilen, wie Vance ihn fixierte, war der Typ der Meinung, dass Dad an allem schuld war und Seth in Gefahr brachte. Er wusste nicht, was er damit anfangen sollte. Er wusste nur, dass sein Magen brannte.
Und Murdoch hatte hinter Vance gestanden und Seth mit seinen Blicken durchbohrt, als wollte er damit Ian Kanan herbeizaubern.
»Sei schön brav«, hatte Vance hinzugefügt. »Und leise, damit Mommy keine Klagen von dir hört. Sonst kann es leicht passieren, dass sie und dein Hund die Spezialbehandlung von Guantanomo kriegen.« Dann gab er gemeine Bellund Winsellaute von sich.
Seth hatte ihm den Rücken zugekehrt.
Ja, irgendwas war passiert. Vance und Murdock hatten es auf einmal so eilig. Und er war der Trumpf, den sie im Ärmel hatten. Das Bauernopfer, das sie gern bringen würden, um zu bekommen, worauf sie aus waren.
Er brauchte eine Waffe.
Etwas Raffiniertes, etwas Unerwartetes. Er wandte sich dem Bett zu und schob die Matratze vom Rahmen weg.
Dann machte er sich über die Feder her. Bog sie vor und zurück, vor und zurück.
Er wusste nicht, wie lang es dauern würde. Nicht jedes Metall war gleich. Das hatte er in Werken und Chemie gelernt. Und von Dad und Onkel Alec, die ihm von Metallurgie, Schwertern und Dolchen erzählt hatten. Auch vom Damaszener Stahl.
Immer wieder bewegte er die Feder hin und her. Sie war nicht aus Damaszener Stahl. Aber sie war verzinkt, und wenn sie brach, war sie schartig und scharf.
Jo verriegelte die Eingangstür hinter sich und folgte Gabe ins Wohnzimmer. Sein Gang war geradezu aufreizend entspannt, der Gang eines Mannes ohne Sorgen. Doch sein Blick registrierte alles im Wohnzimmer, im Flur, auf der Treppe, in der Küche und hinten im Garten. Sie schaltete eine Tischlampe an und trat zum Fenster, um die Jalousie zu schließen.
Sie hatten mit den Streifenpolizisten vor dem Ti Couz gesprochen. Aber Kanan war spurlos verschwunden und Alec Shepard ebenfalls. Der Mercedes des Chira-Sayf-Chefs parkte noch immer vor dem Restaurant, und er antwortete nicht auf ihre Nachrichten.
Auf der Fahrt hierher hatte sich Gabe ausgeschwiegen. Jetzt hielt sie es nicht mehr aus. »Erzähl es mir oder vergiss es und küss mich, aber mach endlich den Mund auf, Quintana.«
Sein Blick beendete die Erkundung des Hauses. Stolz und still schaute er sie an, gelassen und in sich ruhend wie ein Findling in einem rauschenden Fluss.
»Ian Kanan war zehn Jahre im aktiven Dienst bei der Army. Ich habe keinen formellen Nachweis, aber mein Gewährsmann bei der Air Force hat mir ein paar Dinge verraten, die sich mit meinem Eindruck decken. Kanan war bei einer Spezialeinheit.«
»Sind das Gerüchte oder harte Fakten?«, erwiderte sie.
»Inoffizielle Bestätigung. Dazu deine Personenbeschreibung. Mager und drahtig, wie es die Spezialeinheiten mögen.«
Wenn Kanan an Sonderoperationen teilgenommen hatte, war seine Dienstakte praktisch unerreichbar. »Ehrenhafte Entlassung?«
»Meines Wissens ja. Aber da musst du beim Militär nachfragen - vielleicht kann Amy Tang das Gesuch durchsetzen. Mit Glück kriegst du in zwei Wochen ein paar Informationen.«
Sie steckte die Hände in die Hintertaschen. »Und nach dem Abschied von der Army?«
»Hat er sich Arbeit bei einem ganz besonderen privaten Sicherheitsdienst gesucht.«
»Blackwater?«
»Andere Firma, aber ganz ähnlich. Cobra.«
»Eins von den Unternehmen, die ein bisschen Korpsgeist in die
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