Die Strafe - The Memory Collector
verschwammen zu Finsternis. Sie konnte nicht
erkennen, ob sich dort jemand verborgen hielt. Mit angehaltenem Atem schlich sie über den Gehsteig.
Von der anderen Seite des Zaunes drang eine Männerstimme. »Die Hintertür ist offen. Was ist da draußen?«
Auf ihrer Terrasse erklangen Schritte. »Was ist das für Müll auf dem Rasen?«
Sie hörte ein leises Klirren und hielt inne. Fast unhörbar drang ein Flüstern an ihr Ohr, dann spürte sie eine Hand auf der Schulter.
Sie wirbelte herum, das Messer hoch in der Luft, und starrte in die weit aufgerissenen, erschrockenen Augen ihrer Schwester. Tinas Kiefer klappte nach unten, und sie atmete ein, um zu schreien. Schnell drückte ihr Jo die Hand auf den Mund und schob sie gegen den Zaun. Die Münzen an Tinas Schal klimperten wie Geldstücke, die aus einem einarmigen Banditen quollen.
»Hast du das gehört?«, fragte einer der Männer.
Jo hielt Tina fest. Tinas Blick huschte gehetzt hin und her. Sie zitterte wie ein Chihuahua.
»Vergiss es. Komm rein«, antwortete der zweite.
Jo nahm ihre Schwester am Ellbogen und lief mit ihr zurück in Ferds Küche.
»Was ist denn los?«, zischte Tina.
Bebend, den Tränen nah umarmte Jo ihre Schwester. »Was machst du hier? Wie bist du rausgekommen?«
»Ich hab beim Computerladen angerufen und Ferd eine Nachricht hinterlassen. Dann hab ich mich gefragt, ob du den Affen schon erwischt hast. Also bin ich dir nach draußen gefolgt, und plötzlich hab ich Männer im Haus gehört. Ich hatte eine Scheißangst und bin über den Zaun geklettert
wie du vorhin und … und …« Tinas Blick rutschte nach unten. »Ein Messer? Wer? Jo …«
»Hast du dein Handy?«
Als Tina nickte, zog Jo Alec Shepards Visitenkarte aus der Tasche. »Ruf da an.«
Tina wählte und wartete. »Mailbox.« Sie reichte Jo das Telefon.
»Alec, Achtung. Bei mir sind zwei Leute eingebrochen. Ich habe Angst, dass sie als Nächstes zu Ihrer Schwägerin und Ihrem Neffen fahren. Wenn es hier um eine Blutfehde geht, dann sind vor allem Familienangehörige in Gefahr. Rufen Sie zurück.«
Auf der Küchentheke entdeckte sie einen Korb mit Schlüsseln. Sie steckte sie ein und zog Tina zur inneren Garagentür.
»Wo wollen wir denn hin?«, fragte Tina.
»Weg.« Sie öffnete die Tür und drückte auf den Lichtschalter. Summend und flackernd erwachten Neonlampen zum Leben. In der Garagenecke stand ein Motorrad unter einer Plane.
»Komm«, flüsterte Jo.
Sie zogen die Plane weg. Es war eine chromblitzende Ducati.
Jo deutete mit dem Kinn auf eine Werkzeugwand. »Hol die Helme.«
Sie legte das Messer auf die Werkbank und durchwühlte die Schlüssel. Ihre Hände zitterten noch immer. Tina reichte ihr einen Helm. Sie setzte ihn auf, schwang ein Bein über den Sitz und steckte den Schlüssel ins Zündschloss. Dann kickte sie den Ständer zurück.
»Drück auf den Toröffner. Und bete, dass diese Arschlöcher keine Freunde mitgebracht haben.«
Nachdem Tina ebenfalls einen Helm aufgesetzt hatte, betätigte sie den Schalter. Mit einem Poltern fuhr das Tor nach oben. Jo drehte den Schlüssel.
Dröhnend erwachte die Maschine zum Leben. Aus dem Auspuff quoll Rauch. Dann war das Tor offen, und die Auffahrt lag vor ihnen.
Tina sprang hinter ihr auf und schlang die Arme um Jos Taille. »Ich wusste gar nicht, dass du Motorrad fahren kannst.«
»Ich auch nicht.«
Sie drehte das Gas hoch und schoss aus der Garage.
KAPITEL 23
Kalter Nebel senkte sich auf das Viertel herab. Jos Hände auf dem Lenker des Motorrads waren bis auf die Knochen durchgefroren. Wie bunter Löwenzahnflaum schimmerten Ampeln durch den Dunst. Gleiches galt für das Signallicht des Streifenwagens, der vor Kanans Haus stand.
Träge schwirrte das rote und blaue Licht über die Polizistin, die gerade an die Eingangstür klopfte. Jo steuerte in die Einfahrt, stellte den Motor ab und stieg von der Maschine.
Die Polizistin näherte sich. »Mrs. Kanan?«
Sie nahm den Helm ab. »Jo Beckett. Ich hab Sie gerufen.«
Auch Tina befreite sich aus ihrem Helm und klemmte sich sofort hinter ihr Handy. Nach der ratternden Fahrt hatte Jo wacklige Beine.
»Niemand da. Aber das Haus scheint fest verschlossen«, bemerkte die Beamtin.
Jo spürte einen Hauch von Erleichterung. »Ich habe Mrs. Kanans Handynummer nicht dabei. Am besten, wir hinterlassen ihr eine Nachricht, dass sie sich melden soll.«
Die Polizistin reichte Jo einen Notizblock. Jo schrieb
Misty ein paar Worte auf und steckte den Zettel zwischen Tür und
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