Die strahlenden Hände
hielt mitten in der Rede ein, sah Corinna betroffen an und setzte sich ganz still auf einen Stuhl neben den Bücherschrank. »Das ist ja …« sagte er gedämpft. »Du lieber Josef, das ist es! Der Giftpfeil galt tatsächlich dir. Der Hund ist zufällig dazwischengesprungen und hat den Pfeil abgefangen. So ist es gewesen! Es war ein Mordanschlag!«
Wiederum zwei Stunden später traf Oberrat Fernich in Hellenbrand ein. Er brachte einen Toxikologen der Universität mit, begrüßte Dr. Roemer ziemlich steif und beugte sich dann über Hund und Pfeilrest. Der Toxikologe faßte den Pfeil mit einer Pinzette, betrachtete die Spitze durch eine scharfe Lupe und legte ihn dann vorsichtig zurück. »Ohne Zweifel«, sagte er ziemlich bestimmt, »handelt es sich um einen originalen Indianerpfeil mit einem sofort wirksamen Gift. Oder sagen wir exakter: Es ist ein Eingeborenenpfeil. Noch präziser: Ein Blasrohrpfeil.«
»Das haut dem Eskimo den Schlitten unterm Hintern weg!« rief Dr. Roemer dröhnend. »Habt ihr das gehört? In Hellenbrand wird mit Blaspfeilen gemordet. Hier lebt jemand, der ins Blasrohr bläst!«
»Wenn das bekannt wird«, sagte Bürgermeister Beiler, bleich wie eine Kalkwand. »Meine Herren, ich bitte Sie … völlige Diskretion!«
»Wie stellen Sie sich das vor?« Oberrat Fernich warf einen Blick auf das Telefon. »Darf ich in Münster anrufen? Ich muß das Erste Kommissariat benachrichtigen. Hier liegt ein Mordfall vor …«
»An einem Hund!« schrie Beiler.
»Aus Versehen! Der Hund sprang nur in die Schußrichtung.« Fernich winkte ab, als Beiler noch etwas sagen wollte. »Ich schlage vor, wir begeben uns zum Tatort. Und Sie, Frau Doerinck, und Sie, Herr Herbert, versuchen die Situation zu rekonstruieren. Ich glaube, wir haben da einen ganz klaren Tatbestand und Tathergang.«
»Aber keinen Täter!« rief Beiler. »Mit einem Blasrohr! In Hellenbrand!«
»Das eben werden wir feststellen.« Oberrat Fernich hatte nach der rüden Behandlung durch Landgerichtsdirektor Dr. Roemer keinen Grund, hier und jetzt mit besonderer Höflichkeit vorzugehen. »Darf ich darum bitten, sofort aufzubrechen?«
Am Abend, nach dem Eintreffen der Mordkommission und nach einer Rekonstruktion der Tatminuten, stand fest, daß der Täter mit seinem Blasrohr seitlich hinter einem der dicken Bäume gestanden haben mußte. Er hatte auf Corinna gezielt, aber Molly war dazwischengesprungen, als er den Pfeil abgeblasen hatte. Das tödliche Geschoß traf den Hund, und der Täter war so lautlos davongerannt, wie er lautlos hatte töten wollen. Irgendeine Spur gab es jetzt natürlich nicht mehr.
Große Aufregung gab es den ganzen Tag über dagegen bei den auf Corinna wartenden Kranken. Die Ortspolizei hatte bereits um elf Uhr vormittags den gesamten Platz um das Zelt geräumt und abgesperrt. Oberkommissar Blinker selbst leitete den Einsatz, immer die Ermahnung Beilers im Ohr: Nichts sagen! Ausweichen! Keine Kommentare! Stur bleiben! So gab es auch keine Erklärungen für den Polizeieinsatz. Die Kranken schimpften auf die Polizisten. Das immer gegenwärtige Fernsehteam und die Leute vom Rundfunk wurden ebenso rigoros abgedrängt und kündigten Beschwerde an wegen Behinderung der Informationsfreiheit. Besonders turbulent wurde es beim Eintreffen des Ersten Kommissariats aus Münster am Tatort. Wer die Herren waren, erfuhr niemand. Oberrat Fernich, den ein Rundfunkreporter zu fassen kriegte, schrie diesen an: »Was hier los ist? Das sehen Sie doch! Wir alle suchen einen Furz!« Dieser Ausbruch erheiterte am Abend einige Rundfunkhörer heftig – aber die Mauer hielt dicht. Es wurde nie publik, was sich an diesem Tag vor und um und in dem Zelt abspielte, zumal am Abend alles wie ein Spuk verschwand und nichts zurückblieb als dumme, unglaubwürdige Gerüchte wie etwa das: Das waren Fachleute für Erdstrahlen. Sie haben untersucht, ob es hier Erdstrahlen gibt und ob die einen Einfluß auf Corinnas Heilungen haben. Warum sonst hätte denn Corinna ihr Zelt auf den gleichen Platz gestellt, auf dem ihr abgebranntes Haus stand?
Man konnte es glauben oder nicht.
Zum Abschied zeigte sich Oberrat Fernich trotz seines beleidigten Stolzes kollegial. Draußen an der Vorgartentür sagte er zu Dr. Roemer: »Herr Landgerichtsdirektor, wenn Ihnen mit dem Hinweis gedient ist: Die Staatsanwaltschaft will mit den Ermittlungen beginnen.«
»Gegen Corinna Doerinck?«
»Ja. Wegen Körperverletzung und unerlaubter Heilbehandlung. Es liegen im ganzen zehn
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