Die strahlenden Hände
anderen Apparaten, anderen Kontrastmitteln – Brei, Einlaufen, Injektionen, Isotopen. »Wir haben alle diagnostischen Mittel eingesetzt«, hatte Dr. Willbreit hinterher gesagt, »es kann sein, daß Sie sich in den nächsten zwei, drei Tagen etwas unwohl fühlen, aber das vergeht.«
Das Licht ging aus. Nur auf den Monitoren flimmerte es. Dann erschien klar und deutlich das rechte obere Segment des Dickdarms.
»Bitte in kleineren Abschnitten«, sagte Dr. Hambach mit plötzlich belegter Stimme. »Ist das möglich?«
»Aber ja. Ich hole Ihnen jeden Zentimeter vergrößert heraus, wenn Sie wollen.«
»Bitte, Herr Kollege!«
Zweimaliges leises Knacken. Auf dem Monitor erschien vergrößert der kritische Darmabschnitt. Ganz langsam tastete die Bildwandlerröhre den Darmbogen ab, blieb ab und zu stehen und glitt dann weiter. Ljudmila wagte kaum zu atmen. Daß niemand etwas sagte, ließ sie plötzlich frieren.
»Ein paar deutliche Vernarbungen«, erklärte Dr. Meersmann schließlich. Für Ljudmila war es, als habe eine Explosion die Stille zerrissen. »Könnten von einer früheren Colitis ulcerosa stammen. Ist Ihnen da etwas aus der Anamnese bekannt?«
»Nein! Nichts!« Hambachs Stimme klang tonlos. Das Blut rauschte in seinen Adern und ließ seinen Kopf schmerzen. Ein Wunder, dachte er immer wieder. Er biß sich auf die Lippen, weil sie zu zittern begannen, und er hieb die Zähne aufeinander, um nicht schluchzen zu müssen. O Herr im Himmel, ein Wunder. Wir blicken auf ein Wunder. »Kann man das fotografieren? Festhalten?«
»Mit dem Riesending kann ich alles.« Meersmann hantierte herum, schob eine Kassette ein und sagte zu Ljudmila: »Und jetzt wieder ganz ruhig bleiben. Die Luft anhalten. Sooo … und ausatmen … Danke! Das hätten wir.«
»Sie … Sie sind zufrieden mit mir, Herr Doktor?« stammelte Ljudmila.
»Bei diesem Blick nach innen müßte ich Ihnen hundert Jahre versprechen! – Noch einen Wunsch, Herr Kollege?«
»Nein. Nur … wenn Sie noch ein paar Aufnahmen machen könnten.«
»Was speziell?«
»Alles. Alles, was wir jetzt gesehen haben.«
Dr. Meersmann nickte. Es klickte, Kassetten wechselten, Ljudmila mußte mehrfach das Kontrastmittel zurückhalten, die Luft anhalten oder tief einatmen. Dann war es vorbei, das Licht flammte auf, Dr. Hambach blinzelte in die Helligkeit. Sein Gesicht war gerötet, als habe er Fieber bekommen. Er blieb auf dem Stuhl vor dem nun grauscheibigen Monitor stehen, als käme noch etwas ins Bild.
»Ende der Vorstellung, Herr Kollege!« rief Dr. Meersmann fröhlich. »Fußball ist auf dem anderen Kanal.«
Ljudmila eilte in die Umkleidekabine zurück. Sie schwankte ein wenig, als müsse sie bei jedem Schritt balancieren. Dr. Hambach stieg aus seiner schweren Bleischürze und trug sie in den Nebenraum. Aus der Schnellentwicklung kamen kurz darauf die ersten Aufnahmen. Der rechte große Darmbogen. Hambach wurde schwindelig; er setzte sich hin. Meersmann sah ihn kritisch an.
»Ist Ihnen nicht gut, Herr Kollege?«
»Mir ist so gut, daß ich gleich umfalle.« Er atmete ein paarmal tief durch. Die Schwäche wich, dafür erhöhte sich sein Herzklopfen. »Ich habe Ihnen etwas mitgebracht, das möchte ich Ihnen zeigen. Röntgenbilder.«
»Gehen wir in mein Zimmer.«
In dem nüchternen, modernen Raum bestand die ganze Längswand aus einer Leuchtscheibe mit Klemmen. Dr. Meersmann zupfte ein paar Aufnahmen, die dort hingen, heraus und klemmte die Fotos an, die Hambach ihm reichte. Schon nach dem ersten Blick drehte sich Meersmann zu ihm herum.
»Oje –«, sagte er gedehnt.
»Ja.« Hambach nickte. »Ein … ein anderer Patient …«
»Weiß er es?«
»Man hat es ihm gesagt.«
»Alles?«
»Ja.«
»Schrecklich. Und er trägt es mit Fassung?«
»Mit bewundernswerter Fassung. – Wie wäre Ihre Prognose in diesem Fall?«
»Unter uns: beschissen! Wer hat die Aufnahmen gemacht?«
»Die Uni-Klinik Münster.«
»Der Patient ist stationär?«
»Nein, er wurde in häusliche Pflege entlassen.«
»Dann kommt noch etwas auf Sie zu, Kollege Hambach.«
»Das weiß ich.« Hambach zog die Aufnahmen aus der Klemmleiste und schob sie zurück in das Kuvert. »Ich weiß, daß es jetzt verdammt unruhig werden wird.«
Dr. Meersmann hatte keine Gelegenheit mehr, sich von Ljudmila Doerinck zu verabschieden. Sie hatten alle, Vater, Mutter und Tochter, die Praxis verlassen und saßen schon im Wagen. Nur Hambach konnte er die Hand schütteln; etwas pikiert sagte er: »Einen Gruß an die
Weitere Kostenlose Bücher