Die Strasse ohne Ende
muß ich vor Erschöpfung geschlafen haben. Als ich wieder erwachte, lag ich auf dem Rücksitz des Wagens, den Kopf in Ferrais Schoß, und starrte in den verblassenden Himmel.
Der Abend kommt.
Schon der Abend?
Wie lange fahren wir jetzt?
Ich fühle mich etwas frischer, ich kann sogar im Liegen schreiben. Ferrai schaut mir dabei zu. Es muß für ihn ein merkwürdiges und belustigendes Werk sein, denn sein Gesicht ist verzogen, und seine weißen Zähne leuchten zwischen den dicken roten Lippen. Stumm sieht er meinem Schreiben zu und scheint sich dabei vieles zu denken. Wie gern möchte ich in sein Gehirn sehen; es muß interessant sein, was solch ein Eingeborenenjunge über uns denkt.
Der Schlaf hat mir wirklich gut getan.
Grandtours beugt sich über die Lehne und sieht mich an. »Besser, Doktor?«
»Viel besser, Leutnant.«
»In der Nacht werden wir in Laghouat sein. Wir hatten vor drei Stunden eine Panne. Sie Glücklicher haben sie verschlafen. Ich habe geflucht wie nie in meinem Leben. Sie hätten was dazugelernt, Doktor.« Er lacht sein jungenhaftes Lachen.
Jetzt wird es dunkel. Die Anstrengung des Schreibens sticht wie mit Nadeln in meinem Kopf.
Ich muß Ferrai die Blätter geben, damit er sie in meiner Tasche verwahrt.
Es ist, als sei das Firmament aufgerissen und blute aus riesigen Wunden. Die Wüste wird graubraun, schon sehe ich einige Büschel Gras, hart, gelblich – aber es ist Gras. Wir nähern uns der Steppe. Die Wagen fahren schneller.
Ob wir das Mädchen finden? Das Mädchen, von dem Ferrai fragte: »Ist es deine Frau, Herr?«
Wenn ich nicht Fieber hätte, würde ich von diesem Gedanken träumen.
In der Nacht sah der Hof Khennef Saids wie ein dunkler Flecken aus. Die Berge am Horizont waren eine mächtige, schwarze Kulisse, eine Wand, die den Himmel von der Erde trennte.
Das Haus und die Scheunen waren still.
Niemand kümmerte sich um die vier Wagen, die über die breitgewalzte Straße herangebraust kamen und kurz vor dem Eingang hielten.
Das Klappern von Koppelzeug und Gewehren durchdrang die Stille der Nacht. Man hörte laufende Schritte, die sich nach allen Seiten entfernten. Dr. Handrick, der neben Dr. van Behl saß, war ebenfalls aus dem Wagen gesprungen und umklammerte seine große Parabellum. Er sah sich um und lief den beiden Offizieren nach, die sich zum großen Eingangstor gewandt hatten und mit den Fäusten an das Holz klopften. Vom Wagen I flammten jetzt große, drehbare Scheinwerfer auf und beleuchteten den ganzen Komplex des Hofes. Jetzt erst sah Dr. van Behl, daß das Anwesen umstellt war und niemand das Haus verlassen konnte. Dr. Handrick rüttelte an der Tür, als niemand öffnete. Dann trat er zurück und schoß dreimal auf das einfache Schloß.
Mit der Schulter rammte einer der Offiziere die Tür auf und stürmte in den großen Innenhof. Dort stand zitternd und mit erhobenen Armen der riesenhafte Neger an der Hauswand und starrte mit seinen großen Augen den Eindringenden ängstlich entgegen.
»Wo ist Khennef Said, du schwarzes Aas?« schrie einer der Offiziere und hielt seinen Revolver dem zitternden Neger auf die breite Brust.
»Fort!« stotterte dieser. »Fort. Vor drei Stunden. Mit weißem Mädchen!«
Dr. Handrick, der hinter dem Offizier stand, schloß einen Moment die Augen. Zu spät, dachte er erschüttert, schon wieder um wenige Stunden zu spät! Woher wissen diese Männer bloß, was wir planen und vorbereiten? Er schob den Offizier zur Seite und drückte den Neger an die Wand. »Wohin?« schrie er ihn an.
»Nach El Hamel«, stotterte der Neger.
»El Hamel?« Dr. Handrick sah sich um.
Einer der Offiziere nickte. Sein Gesicht war voll Sorge. »Die heilige Stadt des Marabut. Sie liegt bei Bou Saâda, auf einer Nebenstrecke nach Biskra. El Hamel ist das Mekka der Sahara – kein Europäer darf es bewohnen! Die Zaouia des Marabut, eine der schönsten Moscheen, ist der Mittelpunkt des Heiligtums.«
Dr. Handrick blickte den Offizier groß an. »Seien Sie ehrlich«, sagte er leise, »was ist mit Hilde Sievert, wenn sie wirklich nach El Hamel gebracht worden ist?«
Der Offizier zögerte. Er sah zu Boden und kniff die Augen zusammen. Endlich, nach langem Schweigen, antwortete er: »Wenn sie wirklich in El Hamel ist, ist sie für uns verloren.«
»Was soll das heißen?« schrie Dr. Handrick.
»Wir dürfen die heilige Stadt nicht durchsuchen. Bei einem solchen Versuch würde die ganze Wüste gegen uns aufstehen! Alle Menschen Nordafrikas würden sich in einer
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