Die Strasse ohne Ende
Meldung und fuhr mit einer mich erschreckenden Wildheit zu mir herum. »Doktor!« schrie er. »Man hat das Mädchen!«
»Man … hat …«, stammelte ich. Ich war zu sehr erschüttert, um laut zu sein. Aber dann durchdrang mich erst die volle Klarheit dieser Worte: Man hat das Mädchen! Es lebte also, es war nicht im Scheheli umgekommen wie die kleine Karawane, die ich ausgrub! Ich sprang auf und riß Prochaine den Zettel aus der Hand, rannte mit ihm an das Fenster und las die verdammt nüchterne Sprache des Militärs: »Meldung aus Laghouat: Eine Weiße, ein deutsches Mädchen, wird in dem Haus des Berbers Khennef Said bei Laghouat gefangengehalten. Es wird vermutet, daß es ein Mädchen aus dem Transport junger Tänzerinnen ist, der für die Freudenhäuser der Araber von Europa über Algier ins Innere geschafft wurde. Da Verdacht des Mädchenhandels besteht und man mit der Flucht der Beteiligten rechnet, befehle ich Alarmstufe I für alle Garnisonen und Forts der Gebiete Planquadrat 3a-7c! Forrestier, General. Algier.«
»Wir brechen sofort auf!« schrie ich und warf Prochaine das Blatt zu. »Es ist das Mädchen, das mich rettete! Grandtours! Wir fahren sofort!«
»Laghouat ist weit, Doktor.«
»Nichts auf der Welt ist weit, wenn man ein Ziel hat!«
»Es sind gut dreihundert Kilometer durch die Wüste.«
»Und wenn es dreitausend wären – ich fahre!«
Ich muß in diesem Augenblick schrecklich ausgesehen haben, denn sie antworteten mir nicht, sondern starrten mich nur an. Die hohlen Augen, die fahlen Wangen, der ausgezehrte, in den Kleidern schlotternde Körper, den schon das Fieber schüttelte, die verkrampften Finger und der irre Blick – sie starrten sich an, und Grandtours verließ den Raum.
Prochaine nahm den Zettel und legte ihn in das Meldebuch, ging dann zu seinem Wandschrank, nahm eine Flasche Absinth heraus und gab sie mir ohne Glas. »Hier, trinken Sie mal, Doktor«, sagte er leise. »Das tut gut. Ich kann Sie verstehen – es ist zu viel, was plötzlich auf Sie niederfällt. Aber seien Sie ruhig, wir werden den Suchtruppen aus Laghouat entgegenkommen.«
»Und ich fahre mit!« rief ich.
»Natürlich fahren Sie mit. Wir ziehen in drei Stunden ab. Die Mannschaftswagen werden schon herausgefahren.«
Das Fieber durchjagte in diesen Stunden schon meinen Körper, aber ich sagte nichts. Ich wußte, daß ich zu Hause gelassen würde, wenn Prochaine auch nur eine Ahnung hatte von der Krankheit, die in meinem Blut saß. So biß ich die Zähne aufeinander, stand draußen im Schatten des Daches vor der Tür und stützte mich an dem gebleichten Stein. Ich sah den Vorbereitungen zu und sah sie doch nicht. Vor meinen Augen lag ein feiner Nebel, dünn, daß er noch Konturen durchließ, aber doch so dicht, daß es mir Mühe machte, Personen zu unterscheiden. Aber ich stand wenigstens, als Grandtours die Clairons blasen ließ und die Truppe an Prochaine meldete.
»Sind Sie fertig?« fragte er mich.
Ich nickte.
»Aber Sie haben doch nichts bei sich! Ihr Zelt! Wäsche zum Wechseln! Ihre Waffen!« Er sah mich groß an. »Ist Ihnen nicht gut, Doktor?«
»Doch, doch!« rief ich und rannte in mein Zimmer. Ich glaube, daß ich gut rannte, nicht schwankend, wenn ich auch das Gefühl hatte, zu wanken wie ein Betrunkener. Im Zimmer raffte ich alles zusammen und warf es Ferrai zu, der in einer Ecke hockte und Datteln aß. »Nimm, du Rabenaas!« schrie ich. »Es geht los, die weiße Frau suchen!«
»Deine Frau, Herr?« fragte er und erhob sich.
»Wie?« Ich wußte darauf keine Antwort. Ich wurde verlegen. Ich warf ihm das zusammengefaltete Zelt zu und zeigte zur Tür. »Frag nicht, du schwarzer Satan! Los, bring das dem Leutnant!«
»Ja, Herr.« Er rannte an mir vorbei und wirbelte über den Hof. Mit einem Blick hatte er gesehen, wo Grandtours' Wagen stand, warf das Zelt einfach hinein und rannte wieder zurück. »Noch etwas, Herr?« fragte er.
»Ja. Nimm Wasser in den beiden Beuteln mit. Und verstecke sie irgendwo. Wenn wir in eine wasserarme Gegend kommen, wird das unsere Rettung sein.«
»Sofort, Herr.«
Als die Wagen anfuhren und ich hinter Grandtours in dem Jeep saß, kletterte Ferrai von hinten auf den Wagen und klemmte sich auf die eingerollte Plane. Er grinste mich mit seinen weißen Zähnen an und nickte freudig.
»Hast du die Wassersäcke gut versteckt?« flüsterte ich ihm zu.
Er nickte und zeigte nach vorn. »Der Leutnant sitzt drauf!«
»Was?«
»Unter dem Sitz war ein hohler Raum. Da habe ich
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