Die Strasse ohne Ende
Staubwolken der Jeeppatrouillen, die uns folgten und einmal nahe herankamen. Ich wußte: Jetzt tasten sie mit den scharfen Prismengläsern die ganze Karawane ab, ob ein weißer Mann zu sehen ist. Aber sie sehen nur Lastkamele, Reitkamele, Lastesel, eine Hammelherde. Und dazwischen die Eingeborenen in den langen, weißen Gewändern.
Wie immer ritt Amar Ben Belkacem hinter mir und blickte gleich mir zu den Jeeps hinüber, die einen dunklen Fleck in der weißgelben Wüste bildeten.
»Das ist Leutnant Emile Grandtours«, sagte Amar Ben Belkacem zu mir und nickte zu der Patrouille hinüber. Und als ich ihn fragend ansah, nickte er noch einmal wie zur Bestätigung. »Er war gestern abend auch im Lager. Ich kenne ihn. Er wird uns jetzt folgen.« Er kam an meine Seite geritten und beugte sich zu mir herüber. »Waren Sie schon einmal verliebt, Doktor?«
Erstaunt warf ich den Kopf herum. Ich weiß es genau – ich muß sehr verblüfft ausgesehen haben, denn Amar Ben Belkacem lachte leise über mein Gesicht. Er legte seine rechte Hand mit dem großen Ring auf den Hals meines Kamels und schien an etwas zu denken.
»Verliebt?« meinte ich. »Ich glaube nicht, Amar. Ich hatte wenig Zeit dazu. Als Student hatte man seine Flammen – man nennt das so bei Studenten –, beim Militär, na ja, es waren Erlebnisse, Amar, flüchtige Eindrücke von roten Lippen und weichen Armen. Aber Liebe – das meinen Sie doch – richtige Liebe – ich dachte einmal an sie, aber da kam ich nach Afrika.«
»Ich habe einmal sehr geliebt.« Amar Ben Belkacem sagte es ohne Pathos, er sprach es aus wie einen Gedanken, den er etwas zu laut gedacht hatte. »Sie war eine Europäerin.«
»Ach.«
»Sie kam mit einer Tanztruppe nach Algier. Aber der Manager war ein Schuft. Er verkaufte die Mädchen in die Oasen, wo sie in den Freudenhäusern untergingen. Dort sah ich sie, in Taudeni, mitten in der Wüste Tanesruft. Sie mußte tanzen. Ich kaufte sie für siebzigtausend Francs und nahm sie mit auf unseren Zug nach Norden. Dort, in Ghardaia, traf sie Grandtours – er war gerade ein halbes Jahr in Afrika, frisch von der Kriegsschule Lyon gekommen. Er lebte noch in dem Stolz der weißen Rasse, er fühlte sich als Herr der Wüste – wir Araber waren für ihn nur stinkendes Ungeziefer. Er sah das Mädchen an meiner Seite, erfuhr, daß ich es in Taudeni gekauft hatte, und jagte mich wie ein Raubtier durch die Sahara bis In Salah. Dort standen wir uns in einer Wüstennacht allein gegenüber, erschöpft, am Ende unserer Kräfte, durstig, Skelette, die atmeten. Wir sprachen nicht mehr viel, denn sprechen verbraucht ja Kraft. Wir zogen die Dolche und stürzten aufeinander zu. Grandtours war kleiner und schneller als ich, er traf meinen Kopf. Blutüberströmt fiel ich in den Sand und blieb wie tot liegen. Er ritt nach In Salah zurück. Eine Sippe Tuaregs rettete mich vor dem Tod und pflegte mich gesund. Ich habe Grandtours seitdem nicht wiedergesehen – bis gestern nacht!«
Ich blickte auf die lange Narbe an seinem Hals und sah dann zur Seite, wo in der Staubwolke die Jeeps neben uns in Sichtweite herfuhren.
»Und was wurde aus dem Mädchen?« fragte ich.
Amar Ben Belkacems Gesicht war wie ein Stein. »Ich weiß es nicht«, sagte er leise. »Ich habe sie nie mehr gesehen.«
Jetzt, wo ich dies niederschreibe, weiß ich nicht, ob Amar Ben Belkacem damit die Wahrheit gesagt hat. Wie ich ihn kenne, würde er nach seiner Genesung die Spur wieder aufgenommen und das Mädchen gesucht haben. Daß er es nicht tat, daß er sich zurückzog in die Wüste, war merkwürdig und paßte nicht zu dem Bild, das ich mir aus den Teilen seines Wesens zusammengesetzt hatte.
Ich sitze hier am Rand eines Brunnens und weniger Palmen. Eine kurze Rast hat die Karawane eingelegt, um die Wasserschläuche und Beutel aus Ziegenfell aufzufüllen, denn wir wollen morgen in Gebiete vorstoßen, wo tagelang kein Wasser zu finden sein wird. Amar Ben Belkacem habe ich seit einer Stunde nicht gesehen. Ich habe Angst, daß er im Gefühl seiner Rache den Jeeps entgegengegangen ist und Leutnant Grandtours zu sprechen wünscht.
Meine Uhr zeigt drei Uhr nachmittags.
Die Sonne ist das Grauenhafteste, das ich erlebt habe. In Europa, da dürstet man nach jedem Sonnenstrahl, da zieht man am Sonntag hinaus in die Natur, um in der Sonne zu liegen und zu bräunen, da haben wir einen Hunger auf belebende Strahlen, da fahren wir im Urlaub wochenlang in die Gegenden, wo Sonne ist … Ich aber sehne mich nach
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