Die Strasse ohne Ende
die Wissenschaftler von El Hamel«, meinte Sidi Mohammed und sah Dr. Djaballah an, der den Kopf senkte. »Er ist uns allen voraus! Wir müssen uns darüber klar sein, Freunde, daß mit der Bewässerung der Sahara unser Kampf um die Freiheit Afrikas endgültig verloren ist! Die Wüste wird europäisches Ernährungszentrum – was das bedeutet, wißt ihr! Und was soll ich tun?«
Babaâdour warf seine Zigarette fort, sie schmeckte ihm nicht mehr. Er stand auf und wanderte ruhelos hin und her. Sein großer Schatten wanderte an den Wänden mit. »Wir müssen Dr. Sievert töten!« Er sah Amar Ben Belkacem an. »Ich habe es immer gesagt. Nur der Tote schweigt!«
»Er soll aber reden.« Sidi Mohammed sah die Karte an, die Dr. Djaballah vor sich liegen hatte. Er fuhr mit beiden Händen über das Blatt und schien in Gedanken versunken zu sein. »Wenn er schweigt, sind wir auf die Pläne unserer Wissenschaftler angewiesen. Aber die sind unvollständig. Das Hoggar soll ein blühendes Land werden, aber es gibt eben überhaupt keinen Plan von unserer Seite.«
Dr. Djaballah fuhr auf. »Weil wir nicht mehr können, als wir schon tun!«
»Weil ihr nicht mehr könnt!« Sidi Mohammed fuhr mit der Hand durch die Luft, und Dr. Djaballah schwieg wütend. »Er muß also reden, reden für uns.«
»Das wird er nie!« Amar Ben Belkacem kam aus seiner Ecke heraus. Sein blutiger Verband hinderte alle Bewegungen, und er verzog das Gesicht, als er sich aufrichtete und dabei den linken Arm an der Mauer stützte. »Dr. Sievert stirbt lieber, als daß er uns seine Pläne gibt!«
»Er selbst vielleicht!« Sidi Mohammed sah Amar Ben Belkacem an. »Aber ob er es nicht für seine Schwester tut?«
Babaâdour fuhr herum. Er war stehengeblieben und spreizte die Hände, als wolle er jemand erwürgen. »Er hat eine Schwester?« fragte er leise.
»Ja. Sie ist hier in Afrika. Sie wollte ihn suchen und traf auf Omar Ben Slimane. Er verkaufte sie an Fuad in Oued el Ham, der sie weiterschickte. Durch einen Scheheli ging die Karawane verloren. Nur sie flüchtete und wurde verdurstend von dem Berber Khennef Said mitgenommen. Jetzt ist sie im Hause Khennefs in der Nähe von Laghouat.«
Dr. Djaballah kräuselte die Lippen. Er sah Sidi Mohammed mit zur Seite geneigtem Kopf an. »Du willst das Mädchen zu dir nehmen, Sidi Mohammed?«
»Ja.«
»Um mit ihr Dr. Sievert zu zwingen?«
»Ja.«
»Das ist gemein.«
Sidi Mohammed schloß die Augen. Er wich dem Blick Dr. Djaballahs aus und lehnte sich an die Wand zurück. »Gemein ist alles, was in unserer Lage zum Erfolg führt! Wir kennen nur ein Entweder-Oder! Sind wir das Entweder, haben wir gesiegt. Sind wir das Oder – ich wage das nicht zu denken, Freunde. Das Mädchen allein ist die starke Waffe, die auch einen Dr. Sievert zu uns zwingt!«
»Und wenn er trotzdem nicht kommt?« Es war Amar Ben Belkacem, der das fragte.
Sidi Mohammed hob beide Hände. »Freunde, warum sich Gedanken machen über Dinge, die nicht zu übersehen sind? Wir werden das Mädchen schnell holen und hierher bringen müssen.«
Dr. Djaballah sprang erregt auf. Sein Gesicht war gerötet und verzerrt. »Ohne mich!« schrie er. »Ich bin Wissenschaftler, ich kämpfe mit den Waffen des Geistes, nicht mit denen der Gemeinheit! Ich distanziere mich! Ich fahre nach El Hamel zurück und werde dem Marabut berichten –«
»Daß Dr. Ahmed Djaballah ein Feigling ist«, unterbrach ihn Sidi Mohammed langsam und versonnen. »Ich nehme es dir nicht übel.«
Dr. Djaballah sah den blauäugigen Araber unter zusammengekniffenen Lidern an. »Nenne es Feigheit, Sidi. Deine Methoden sind überlebt. Druck erzeugt Gegendruck, und der Weiße ist uns überlegen an Waffen und Menschen! Wir haben keine Chancen mehr, so frei zu sein wie vor dreihundert Jahren! Wir müssen einen Kompromiß schließen. Freiheit unter europäischer Mitarbeit – das ist bitter, aber nicht zu ändern. Die Politik der Zukunft ist nicht der Nationalismus, sondern die globale Freundschaft und Ergänzung aller Völker untereinander!«
»Allah wird dich strafen«, sagte Sidi Mohammed in die Stille, die den Worten Dr. Djaballahs folgte.
»Auch Allah wird das einsehen. Es ist sein Wille, daß Friede herrscht. Der Marabut verflucht keinen, weil er nicht an Allah glaubt. Auch die Weißen haben einen Gott. Einen falschen – aber sie haben einen! Warum soll deshalb nicht Friede sein? Was du machen willst, ist grausam, Sidi. Du willst einen Mann durch die Schwester als Geisel zwingen –
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