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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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morgen, Samstags, zu Stangelers auf die Villa hinausfahren würde?
    Das war jetzt so eine Gepflogenheit geworden. Man redete leichthin durcheinander, während zugleich Melzer herzlich begrüßt wurde.
    »Der Grauermann wird sich mit der Etelka Stangeler verloben«, sagte Grabmayr. Seine Sprache fiel aus dem Wienerischen dieser Gesellschaft etwas heraus. Den Konsonanten k in dem Eigennamen ›Etelka‹ hatte er ganz tirolerisch hart gesprochen.
    »Wer fährt morgen mit von der Waisenhausgasse?« fragte Semski.
    Er meinte die Konsular-Akademie. Jene Gasse, die, wie schon angemerkt wurde, später ihren Namen verändert hat und nach einem großen Mathematiker benannt worden ist, also weniger kümmerlich als vorher, führt von der Währingerstraße rechts abwärts – wenn man in der Richtung nach Währing hinausblickt – und mündet in die Liechtensteinstraße. Im halben Weg etwa befand sich die k. u. k. Orientalische Akademie, eine Gründung der Kaiserin Maria Theresia: Hochschule mit Internat, das ziemlich streng gehandhabt wurde; den jungen Herren war nur ihre recht kleidsame Uniform mit Degen erlaubt, der Zivilanzug dagegen verboten, mit Ausnahme touristischer oder sportlicher Kleidung, und im ersten Jahr gab es keinen Ausgang nach zehn Uhr. Aber sonst war in dem großen schönen Gebäude gut sein für die Zöglinge, sie hatten wirklich alles, wessen sie bedurften, einen herrlichen Park, Reiten und Tennis. Im übrigen hatten sie auch, man darf schon sagen, einigermaßen seltsame Gepflogenheiten interner Art, sonderlich wenn im Herbst das beginnende Semester die Neulinge des ersten Jahrgangs brachte, die ›Jagdhunde‹, wie man sie hier im Hause zu nennen pflegte. Diese Jagdhunde‹ wurden am ersten Abend nach ihrem Eintreffen unter Beisein aller im gemeinsa men Salon einer Art Prüfung unterzogen, bei der sie natürlich ausnahmslos durchfielen: denn entweder konnte einer die vorgelegten heiklen Fragen beantworten: dann war es ein Skandal, wie grundverdorben der Bursch schon daherkäme; oder er vermocht' es nicht, dann war er einfach ein hervorragend dummer Bursch. Prüfungskommissare waren die Angehörigen des höchsten, des vierten Jahrgangs, welche ›Exzellenzen‹ genannt wurden, während man denjenigen, die schon absolviert hatten und Attachés geworden waren, bei ihren gelegentlichen Besuchen auf der Akademie den Rang eines ›Halbgottes‹ vindizierte.
    Im übrigen mußte erschrecklich viel gelernt werden: außer juristischen und besonders staatsrechtlichen und handelsrechtlichen Fächern verlangte man selbstverständlich das Englische und Französische bis zur Perfektion – die Hauptsache aber blieben immer noch die orientalischen Sprachen, nämlich Türkisch, Arabisch, Persisch als durchaus obligat, wobei schon sehr weitgehende Kenntnisse das Minimum darstellten. Voraussetzung für den Eintritt in die Akademie – es wurden jedes Jahr höchstens fünfzehn bis zwanzig Neulinge aufgenommen – bildete die bestandene Reifeprüfung an einem humanistischen Gymnasium; die meisten Akademiker kamen wohl von der Theresianischen Ritter-Akademie hierher, die man heute noch in Wien kurz das ›Theresianum‹ zu nennen pflegt.
    So weit über die Waisenhausgasse (›Goldene Zeiten‹ heißt das in seniler Terminologie). Sie hatte nach und nach im Hause des Herrn von Stangeler Einzug gehalten, indem einer den anderen nach sich zog, und erschien dort winters reputierlich in grünen Fräcken und sommers auf der Villa in touristischem Kostüm.
    »Grauermann und Marchetti fahren morgen hinaus«, sagte Herr von Langl, »soviel weiß ich sicher. Der Honnegger spielt am Sonntag bei meiner Tante in Döbling ein Klavierquintett mit.«
    »Der Marchetti unterhält sich gern mit der Asta«, bemerkte Semski beiläufig. Er pflegte übrigens – immerhin war er schon einige Jahre älter und Angehöriger des Ballhausplatzes – die Konsular-Akademiker etwas herablassend zu behandeln. »Was hast' denn, Melzer?!« fragte Lindner halblaut über den Tisch herüber.
    Unser Leutnant war wirklich aus der Fassung geraten, er rang mit im Augenblicke übermächtigen Eindrücken. Sie hefteten sich jetzt alle an den Namen Asta Stangeler und ordneten sich um diesen Namen an wie um ihre Quelle und ihren Mittelpunkt. Dieser Urlaub war so gut wie versäumt und verloren. Dort draußen aber hätte man sein können in dem schönen Hause unter vielen heiteren Menschen und auf den Bergen, statt bei Zauner in Ischl! (Der Leutnant Melzer hatte bei seinem

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