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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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herauszustrahlen mit ihren Schlagschatten, während alles andere in Nacht versinkt. Wie ein Zimmer, das nur durch eine in der Ecke unter einem Sessel stehende Kerze erhellt wäre …«
    Melzer folgte (wir müssen es wohl wissen).
    Stangeler schwieg jetzt. Er lag ganz regungslos; und irgendetwas schien ihn zu bedrängen und das Wort von seinem Munde zu streifen, wie ein Zugwind die Flamme fast von der Kerze trennt.
    »Für mich hat Charles Baudelaire ganz recht, wenn er den Voltaire einen ›Prediger für Hausmeister‹, predicateur des concierges, nennt«, fügte René nach ein paar Augenblicken rauh hinzu. »Die vorhin zitierte Stelle ist ödester Sophismus. Man stellt eine Absurdität auf und sagt dann, vor Gott, an welchen man jetzt und ad hoc zu glauben vorgibt, sei nichts unmöglich. Und wer den ganzen Stuß etwa doch nicht glauben sollte, dem wird gleich vorwegnehmend ›absurde Gottlosigkeit‹ angelastet.«
    Melzer folgte. Er hat es Jahre später durch einen Bericht über dieses Gespräch bewiesen, der übrigens mit dem René Stangelers voll übereinstimmte, wofür Kajetan von S. und der Sektionsrat Geyrenhoff als Zeugen angeführt werden können. »In der netten und adretten Sprache der Psychologie«, so fuhr René jetzt fort, etwas leichteren Tones, »die immer ein weißes Ärztemanterl trägt und die Dämonen durch einen zarten, aber stets spürbaren Desinfektions-Geruch scheucht, in dieser beruhigenden Terminologie würde das bisher Gesagte heißen: Jeder Klasse von Funktionen und jedem einzelnen Mechanismus innerhalb derselben ist ein bestimmter Helligkeitsgrad des Bewußtseins zugeordnet. Wird dieser habituell überschritten, dann nähern wir uns den Grenzen der Normal-Psychologie und somit dem Kompetenzbereiche der Psychopathologie. Einfacher ausgedrückt, aber gleichwohl genauer, wenn auch etwas altmodischer, heißt der ganze Sachverhalt: die Unzucht. Sie ist eigentlich schon eine Krankheit und wird es an Symptomen bald nicht fehlen lassen. Alles Pathologische beruht letzten Endes darauf, daß der Mensch mit sich selbst zu intim geworden ist: also unzüchtig. Es ist die FundamentalKrankheit unserer Zeit. Wir leben in einem durch und durch unzüchtigen Zeitalter.«
    Melzer rutschte für wenige Augenblicke nur in's Konventionelle ab. »Ich hätte bei Ihnen so strenge Anschauungsweisen nicht vermutet, Herr von Stangeler«, sagte er.
    »Ich rede ja hier nicht moralisch«, erwiderte René mit spürbarer Indignation. »Wenn ich einen Ausdruck wie ›Unzucht‹ dem Seelenschlosser-Jargon vorziehe, so hat jenes Wort nun allerdings einen solchen Unterton, ja es ist eigentlich fast rein moralisch wertend. Zugegeben. Das ist ein Fehler, wenn auch nur für den Augenblick, wo's zunächst lediglich um die Fest stellung eines Sachverhaltes geht. Dabei kann's freilich nicht bleiben. Und wenn ich jetzt gleich inadäquate Bewußtseinshelligkeit‹ sagte, oder sonst so was nach Karbol Riechendes, so müßt' ich später, dort wo der Hund begraben liegt, am Grabe des Hundes – prope sepulcrum canis, würde der Rittmeister sagen! – doch wieder das Wort Unzucht gebrauchen.«
    Melzer wehrte sich nicht weiter. Er entwickelte keine Kritik, hier so wenig wie etwa einem überraschenden Auftreten von Gerüchen oder Tönen gegenüber. In der Tiefe blieb bei ihm ein festes Vermeinen verankert, daß Stangeler ihm hier und jetzt etwas zu sagen habe, was ihn selbst unmittelbar und in hohem Grade anging, so wie ihn der Duft vom Naphthalin angegangen hatte vor zehn Tagen oder die Weise des Werkelmanns, beide wie einbrechende Stellen eines doppelten Bodens, darauf er unbefriedigt und geängstet lief. Ob das, was Stangeler sagte, eigentlich zu halten sei, wissenschaftlich oder denkerisch oder sonstwie autoritativ, das kümmerte den Major nicht. Einen Augenblick lang blitzte ihm auf, daß gerade dies hier und jetzt völlig gleichgültig sei. Aber es schien ihm dieser René wie aus seiner, Melzers, eigener Lage zu sprechen und ihr das Wort zu verleihen, das er selbst ihr zu geben nicht vermochte.
    »So also kommt unser Wegweiser, um mich Ihres Ausdrucks zu bedienen, in Verwirrung«, setzte René schon fort, »durch Provozierung des Apparates, und es regt sich was, und die Nadel zuckt, wo sie ganz still liegen sollte, weil kein Strom gesendet worden ist. Aber es gibt ja auch in den Eisenkernen der Elektromotoren immer so etwas wie einen Rest-Magnetismus, der bleibt, wenn sie abgeschaltet sind. Selbst-Induktion. Wenn irgendwelche

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