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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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auch ihr nichts vor: man hatte sie gern. Sie bewegte sich in der Kategorie der Beliebtheit. Diese ist angeboren.
Freilich strebte sie dem auch zu entsprechen. Für vortrefflich gehalten zu werden, ist für jeden trefflichen Menschen leise im Innern belastend, zugleich laut aneifernd und nach allen Seiten verpflichtend. Es wirft den Menschen nicht auf sich selbst zurück. Es treibt ihn in's äußere Leben hinaus, seinen Ruf zu bewähren. Es stärkt und belebt da auf jeden Fall.
Auch Mary fühlte sich gestärkt und belebt. Aber Belebung und Bewährung waren während dieser drei Tage fast ununterbrochen erfolgt, in jeder Hinsicht, auch am Bridge-Tisch (wo sich zum Beispiel heraus stellte, daß sie weit besser spielte als der Hausherr, welcher hochbeglückt sogleich von ihr zu ler nen begann). Den Tennisplatz aber hatte sie ganz den jungen Mädchen und deren Freunden überlassen. Im Gespräch aber – nach Tische etwa, auf einer hohen, breiten, altmodischen Holz-Veranda – fiel der Schwerpunkt wie von selbst immer zu ihr. Alle warteten, was sie sagen würde und ob sie etwas sagen würde. Nun war Mary kontrolliert genug, um dann das beste zu tun: nämlich nichts zu sagen oder beinahe nichts. Freilich ging das nicht immer (wie sie vermeinte – in Wahrheit ist's nur eine Frage der Nerven-Ruhe oder der Nerven-Stärke, denn man vermag fast immer, wenn man's wirklich so will, durchaus nichts zu sagen: allerdings bedeutet das schon eine geistige Leistung). Alles in allem: sie war doch vielfach hinaus an den eigenen Rand gedrängt worden. Und nun plötzlich war sie allein und stand doch noch an diesem Rande.
Sie hatte sich bisher in der Wanne noch kaum bewegt, in welche sie geradewegs aus dem Bett sozusagen umgestiegen war, sogar mit einer gewissen Vorsicht. Nun dachte sie an den Tennisplatz in Rekawinkel (die dahinter frei aufgewölbten Waldberge, die weißen fliegenden Bälle, das Rufen der jungen Menschen). Der Herbst war zu spüren gewesen, hallend und weit, einzelne Laub-Arten zogen da und dort schon einen erglühenden, entzündeten Strich in die Wälder, und wenn ein Zug auf der Westbahnstrecke dahinfuhr, empfand man den Pfiff der Lokomotive vor der Einfahrt in den Tunnel und die feine Spur vom Geruch des Rauches in der Luft als gleichsam die Ferne aufschließend, welche in den Wäldern schon gesammelt und bereit stand, um alles dünner und durchsichtiger zu eröffnen, bei fallendem Laube. Mary sah jetzt die Tennisplätze im blassen Augarten vor sich. Sie empfand keine Lust, dahin zu gehen, Tennis zu spielen: eine Erinnerung lag in ihr, nicht im Kopfe, mehr in den Armen, ein organisches Erinnern: wie sie mit der Sandroch und danach mit Oskar gegen Doktor Adler und dessen Frau gespielt hatte, mit Armen aus Glas, deren Gelenke aber hölzern sich fühlten. Nun, das war damals gewesen; sie konnte aber doch heute hinübergehen, um zu spielen! Auch vormittags fand sich immer ein Partner! Bei diesem Gedanken geschah die erste eigentliche Bewegung, die sie hier in der Wanne machte, die erste entschiedene Bewegung dieses Morgens überhaupt: und mit ihr hob sie unversehens den Seifenträger so weit auf mit seinen Bügeln, daß er vom Rande der Wanne samt Seife und Nagelbürste in's Wasser sprang. Das Bürstchen schwamm. Die Seife ging etwas langsamer unter als Porzellan und Nickel, das rasch fiel und vom Boden der Wanne einen dunklen Ton hören ließ. Sie fischte jetzt und fing. Dann begann sie sogleich die Toilette. Dabei sprang ihr das Oval der Seife aus der Hand, schnellte sich unten ab vom gerippten Vorleger und verschwand unter der Badewanne. Mary hätte dies hin nehmen können und ein anderes Stück Seife zur Hand, das auf dem breiten Rand vor der Kachelung der Wand bereit gelegen wäre. Sie hätte auch die blauseidene Schnur mit Quästchen ein wenig ziehen können, und ihre Marie wär' gekommen und hätte die entsprungene Seife wieder zur Stelle gebracht. Aber Mary war schon aus der Wanne; schon kniete sie, jetzt hatte sie das Ding gefaßt, mit gestrecktem Arm unter die Wanne langend; und schon auch saß sie wieder drinnen; aber doch etwas perplex, wie über einen Hohlraum sich beugend, der da in ihr selbst geöffnet war: eine Art Versagen, das Unsicherheit schuf; ein Ausgehöhlt-Sein, welches für alles Achtsamkeit und Vorsicht zu erfordern schien, was man sonst glatt und automatisch tut. Nun, sie war ungeschickt gewesen jetzt (sie war auch ungeschickt in die Wanne zurückgestiegen und dabei nahezu gefallen – aber das

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