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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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andere alles hätt' ich am Sonntag hier in Wien ja ohnehin nicht erledigen können.«
»Wann ist Robert von Gmunden weg?«
»Am zehnten.«
»Und wie lange war er bei dir?«
»Mehr als acht Tage. Genau eigentlich vom 31. August an.«
»Und wie war das?«
»Das kann ich am Telephon nicht alles so sagen, wie ich gern möchte«, antwortete Lea Fraunhofer, nachdem sie ihrerseits jetzt vor dem Sprechen eine kleine Pause gemacht hatte. »Ich könnte – noch glücklich werden. Allerdings unter gewissen Bedingungen.«
»Bedingungen, meine liebe, gute Mädi …« Marys Andrang fand nun plötzlich das Mittel der Zärtlichkeit, und es schien ihr das rechte, um sich endlich Eingang zu verschaffen in diese ferne, weiche, zurückweichende Welt, davor sie anhaltend und angehalten gesummt hatte wie eine Hummel, welche ihr rechtes Schlupfloch sucht. »Bedingungen! Die Bedingungen, die mußt du selbst schaffen, aber nicht stellen … und in Belgrad, nicht in Budapest, glaube mir das … Aber darüber kann man nicht am Telephon reden, Mädilein. Ich muß dich sehen. Ganz unbedingt. Und wenn du noch so viel zu tun hast in Wien während dieses einen Tages. Das kann ich mir ja vorstellen. Also irgendwann. Wenn's nur eine halbe Stunde ist. Das genügt.«
»Man hat mich vollständig zugedeckt mit lauter Aufträgen und Angelegenheiten«, sagte Lea, jedoch ohne Beschwerde oder Auflehnung im Ton, nur in einer Art gutmütiger Klage. »Auch Robert. Sein Telegramm ist endlos. Noch dazu wichtige geschäftliche und zugleich persönliche Sachen, stell' dir das vor, auf deren Ausgang er in Belgrad wartet … Und noch dazu behauptet er, ich sei für eine gewisse Unterredung, die da zu führen ist, eigentlich die geeignetere Person wie er selbst. Wenn er sich nur nicht täuscht …«
Einen Augenblick hindurch wurden Marys nicht unbedeutende Hoffnungen niedergeschlagen, welche ihr aus der Tatsache gesprossen waren, daß Fraunholzer seine Gattin (war sie's wieder?! Konnte sie's nicht doch wieder werden?!) nach Belgrad gerufen hatte. Was sie jetzt blitzschnell und wortlos dachte (à la Trópoi, wie wir alle), das ließe sich grammatikalisch korsettiert etwa so angeben: ›Die Mannsbilder sind alles imstand. Er braucht sie halt grad.‹ Aber nur durch einen ganz kleinen Augenblick konnte bei Mary die Befürchtung eines Überwiegens oder gar einer Ausschließlichkeit nur mehr sachlicher Zusammenhänge zwischen diesem Ehepaare Raum gewinnen. Sie glaubte zu tief an die Nächte mit Oskar. Es war jenes Niedergeschlagen werden ihrer Hoffnungen nur ein blitzschnell vorübergehendes, wie die fahrtbegleitenden Telegraphendrähte neben der Strecke bei jedem Träger einen Sprung wieder herab zu machen scheinen, der ihr stets erneutes Ansteigen unterbricht; oder wie das elektrische Licht ein mal zuckt. Schon war's vorbei. Schon sah sie wieder wie vorher. Wohl glaubte sie an's Geschäft. Mehr aber noch an anderes (wer will da gegenteiliger Meinung sein?). Jedoch, während dieses ganzen Telephon-Gespräches mußte früher oder später für Mary ihr eigener schwächster Punkt sichtbar werden, welcher Klarheit und Wert ihres Urteils bezüglich der obwaltenden Lage ganz erheblich minderte: sie kannte ja den Generalkonsul nicht oder kaum, alles in allem so gut wie gar nicht: ein hübscher Mann, energisch. Vor Jahren. Das war alles. Hier fehlte es. Hier verlor sie Lea gegenüber an Kompetenz. Die Ausführungen einer Grete Siebenschein über Fraunholzer konnten solchen Mangel nicht ersetzen: er brachte jetzt wieder das schlechte Gewissen herauf, ja beinahe schon etwas wie die Gefühle eines unvorbereiteten Schülers, der unversehens aufgerufen wird. Längst wäre einmal Gelegenheit zu suchen gewesen, um den Generalkonsul sozusagen aus der Nähe zu sehen. Schon nach dem Frühsommer. Aber er war ja immer in Belgrad. Trotzdem. Vorher schon. Vor Jahren. Sie begriff sich selbst nicht. Und suchte trotzdem keine Ausrede. Ihr Verhalten verdient hervorgehoben zu werden.
»Dazu kommen noch Angelegenheiten von der Mutter und der Lily draußen in Wolkersdorf (Lea meinte ihre jüngere Schwester mit deren Kindern jene Marys befreundet waren), das hat auch schon alles in Wien auf mich gewartet. Du weißt doch, daß Lily zu manchem komplett unfähig ist, zum Beispiel den Brief einer Bank zu verstehen und daraufhin eine Antwort oder einen Auftrag zu erteilen und lauter solche Dinge – ja, sie ist noch draußen (so sagte sie auf Marys Zwischenfrage hin), weil's noch so schön ist, nur die

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