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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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Kinder sind schon herinnen, wegen des Gymnasiums, und außerdem fühlt sie sich nicht ganz wohl, und die Mama auch nicht, und der Walter ist ebenfalls draußen (Lilys Mann war das – übrigens hatten die Schwestern Küffer in keiner Hinsicht auch nur die geringste Ähnlichkeit miteinander, Lily war strohblond und mager, ein ganz modischer Typ), der hat auch von nichts eine Ahnung: ›ich bin kein Geschäftsmann‹, sagt er. Und alle miteinander sind sie zu faul wegen dem oder jenem, was endlich erledigt werden müßte, einmal den Katzensprung nach Wien zu machen. Alles bleibt bei der Haushälterin hier als dringender Auftrag deponiert ›bis die Frau Generalkonsul aus Gmunden kommt‹. Das haben sie ja gewußt. Freilich nicht, daß ich diesmal nur einen einzigen Tag in Wien bleiben würde. Es ist schon ein Pech gewesen, daß ich nicht früher einmal von Gmunden hab' weg können. Aber der Kleine war nicht ganz wohl (des Generalkonsuls jüngerer Sohn). Und jetzt plötzlich hat Robert telegraphiert wegen einer Zusammenkunft, die ich heute nachmittags für ihn hier haben soll, ausgerechnet im Hotel Sacher und mit einem uralten Franzosen.«
»Und woher bekommst du in der Geschwindigkeit die Visa für Ungarn oder eigentlich Belgrad?«
»Das hat Robert bereits alles telephonisch von Belgrad aus geordnet. Ich brauch' nur hingehen mit meinem Paß, und in zehn Minuten hab' ich's.«
Mary dachte jetzt blitzschnell und mit für eine Dame bemerkenswerter Genauigkeit: »Wenn sie durchaus will, dann kann sie auf dem Weg solcher Beziehungen auch ein richtiges ungarisches Visum sofort haben, um in Budapest sich aufzuhalten.« Ob eine Durchreise-Erlaubnis allerdings für die Fahrt nach Belgrad überhaupt erfordert wurde, das freilich wußte Mary nicht und also auch nicht, ob ›Mädi‹ auf jeden Fall würde auch das ungarische Generalkonsulat besuchen müssen. Schon sprang ihr eine Frage auf die Lippen. Aber es schien ihr dies doch zu weit vordringend, zu sehr in's einzelne gehend, zu nah dem neuralgischen Punkt. Sie sagte statt dessen:
»Da wirst du also vor allem im Sacher dein schönstes Französisch sprechen und die Dinge dort wunderbar machen. Ich kenn' dich doch, Mädi!« Marys Stimme war nun überaus zärtlich. »Aber jetzt sag' mir nur, Liebling, wann und wo kann ich dich sehen – und wenn's auf noch so kurze Zeit wär'.« (Dabei faßte Mary blitzschnell den Vorsatz, bei dieser Zusammenkunft sich durchaus eines zärtlichen Vorgehens zu befleißen und auf solche Weise Lea einfach darum zu bitten, doch auf gar keinen Fall in Budapest auszusteigen oder in Belgrad ihren Mann vor eine Alternative zu stellen, und was dergleichen schwere Fehler mehr waren, zu welchen die Generalkonsulin neuestens wieder zu neigen schien.)
»Ich werde den ganzen Tag über nur eine knappe Stunde daheim sein«, sagte Lea. »Von halb sechs bis allerlängstens halb sieben. Dann nehm' ich schon mein kleines Tascherl von zu Hause mit, fahr' aber noch nicht auf die Bahn, sondern muß vorher noch auf die Wieden zu einer Freundin von der Mama, wo ich auch zum Nachtmahl eingeladen bin. Das ist beim Belvedere und trifft sich gut, denn ich reise ja vom Staatsbahnhof ab, spät abends. (Sie gebrauchte noch nicht die damals eben erst üblich werdende Bezeichnung ›Ostbahnhof‹.) Meine Koffer hab' ich von der Westbahn schon hinüber geschickt. Aber diese eine knappe Stunde daheim muß ich haben, um mich ein bisserl zu verschnaufen, herzurichten, eine Tasse Tee zu trinken. Da kommst du zu mir. Aber bitte, komm nicht später als sechs. Ich möcht' ja auch so gerne mit dir reden.«
Mary versprach's fest.
Sie trat vom Telephon weg.
Sie war wieder allein.
Das angestrengte eindringliche Sprechen hatte eine Trockenheit in ihrem Munde hinterlassen; sie setzte sich wieder an den Frühstückstisch und nahm noch Tee. Indem sie jetzt die Tasse niedersetzte, bot sich ihr in seltsamer Weise – wie aus großer Stille von allen Seiten fertig auf sie zutretend – eine innere Haltung an, welche Mary durchaus begriff, die jedoch wie hinter Glas blieb, so daß sie von ihr doch nicht ergriffen werden konnte (und im hier offenen Doppelsinn: weder konnte Mary wirklich und wirksam ergreifen, was da wie von außen sich antrug, noch auch davon sich ergreifen lassen: es blieb hinter Kristall, hinter einer völlig durchsichtigen Wand, als wär' die Luft hart geworden, eine unsichtbare Mauer). Sie sollte, so fühlte sie's ganz deutlich, mit dem, was sie augenblicklich beschäftigte – den

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