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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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bei ihm geblieben diese Nacht, mitgefahren. Ich fürchtete für ihn, an seiner Statt, die Einsamkeit, welche in Belgrad ihn erwartete, wo er ja sozusagen als Junggeselle lebte, und nun sollt' er's mit dem Bewußtsein, daß es in Budapest keine Etelka mehr gebe – mochte auch zwischen ihr und ihm zuletzt nicht mehr alles gewesen sein wie einst – daß sie dahin sei, abgewandert in die ferner und ferner zurückweichenden Horizonte des bereits Vergangenen. Aber Fraunholzer hat mir auf dem Perron noch, knapp bevor zum Einsteigen gerufen wurde, gerade diesen Druck ganz vom Herzen genommen: und ich war glücklich darüber ohne irgendeinen Nebengedanken. Er sagte nur kurz: ›Meine Frau kommt voraussichtlich Dienstag nach Belgrad. Zwei Stunden, bevor die Nachricht von dem Unglück eingetroffen ist, hatte ich ihr telegraphiert und sie gebeten, in Wien verschiedenes für mich zu erledigen und dann so schnell wie möglich zu kommen, das heißt, Montag-Abend schon von Wien abzureisen, wenn es irgend ginge. Ich werde sie bei mir haben. Es ist gut.‹ Er redete wie mit sich selbst, nicht eigentlich mich ansprechend und um mich zu unterrichten. Aus seinen Augen wußte ich mit Bestimmtheit alles, durchaus alles: daß er einem Trost entgegenfuhr, vielleicht sogar – einem Glück. Ich wußte das, obwohl ich doch damals keine Kenntnis noch hatte von dem, was sich zuletzt abspielte, während Sie dort draußen waren, Herr Major; denn diese Sachen hat mir Asta erst heute vormittag erzählt.« René schwieg durch einige Au genblicke. Dann: »Auch Ihnen ja alles. Sie hat mir gesagt, daß Sie die Vorgeschichte so ziemlich kennen: sie habe Ihnen diese berichtet, auf dem Lande, Ende August.«
    »Ja«, sagte Melzer. »Und zwar so kurz wie meisterhaft: wie mit einem einzigen Zirkelhiebe die ganze Lage umreißend.« Er verwunderte sich zugleich über die eigenen Worte: die ihn gleichwohl nicht im eigentlichen Sinne befremdeten; weder ein Zitat noch von irgendwo anonym angeflogen: sondern von tief rückwärts her, aus ihm selbst trat da eine neue Substanz in den sprechenden Mund, selbständig gleichsam gegenüber dem Geflechte des Nervösen, dem Splint der Stunde: wie aus dem Kernholz vielmehr der eigenen Lage geschnitten: er fühlt' es wieder, wie er neben Asta dort auf der Bank in des Pfarrers Wald gesessen war, vor der keineswegs schweigend-verschlossenen oder abweisenden Landschaft; sondern sie hatte sich gehoben, gesenkt, geatmet, einen großen Schritt mit ihm getan.
    »Asta hat das Herz und das Mundwerk am rechten Fleck«, antwortete René, »und in der Beschränkung ist sie Meister. Wer sich dabei beruhigt, dem kann das immer neu zu bringende Opfer der Beschränkung gleichsam zur Beschränktheit gerinnen und erstarren, wobei gar nichts mehr geopfert wird. Nun, Honnegger hat mir erzählt, daß Etelka ihre, gelinde gesagt, schon recht bewegte Lebensweise vom Juli sofort nach dem Wieder-Eintreffen in Budapest – Anfang September – neuerlich aufgenommen hat, ja sozusagen in verdoppeltem Tempo. Um den Buben kümmerte sie sich kaum mehr. Sie hatte ihn mitgebracht, weil er wieder zur Schule mußte. Übrigens war Pista so umsichtig, den Kleinen am Tage des Unglücks sogleich zu den Alten nach Preßburg bringen zu lassen. Das hat Lalas Frau besorgt. Mit Etelka also ging es in Bu dapest zunächst einmal acht Tage lang so hin. Dann ist als erster Pista deutlich geworden. Als zweite die Frau jenes Imre, nämlich ihrem eigenen Mann gegenüber – Asta hat Ihnen ja von ihm erzählt? (Melzer nickte). Sie werden gleich einen Brief von ihr lesen, den sie Etelka geschrieben hat. Er ist eingetroffen, als diese bereits im Sterben lag, und ich hab' ihn mit Wissen meines Schwagers an mich genommen. Verderblich wurde ein Umstand, den ich hier nur kurz erwähnen will: es befand sich fast die gesamte Korrespondenz Fraunhofers und Etelkas – Briefe aus mehreren Jahren – in den Händen einer Grauermann eben zur kritischen Zeit sehr nahe stehenden Frau. Wie das möglich geworden und gekommen ist, kann ich jetzt nicht auseinandersetzen, es würde zu weit führen. Übrigens hab' ich den Eindruck, daß Etelkas Tod dieses Band zerrisen hat: das heißt, sie steht ihm heute keineswegs mehr nahe … Nun, neben dem offenkundigen Skandal, den Etelka in Budapest nährte und mehrte, erhob sich auf solche Weise noch ein urkundliches Material, das für den Fall einer Scheidung ihre Position juristisch sozusagen vernichtet hätte, ja bis in die Nähe der Möglichkeit,

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