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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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worden. Aber zunächst einmal hatte er gar keine Gelegenheit dazu. Sie schenkte ihm durchaus keine Beachtung – was ihm an sich willkommen war, denn Etelka pflegte bei Tische stets an ihm herumzukritteln und seine Tafelmanieren zu korrigieren – und sie blieb durchaus ihrem Nachbarn zur Rechten zugewandt, einem Manne, auf den sich ein Blick verlohnt, nicht nur wegen seines angenehmen Äußern, sondern deshalb, weil er in der Lebensgeschichte Etelkas einen keineswegs unwesentlichen Platz hat.
Der Regierungsrat Guys war seiner Herkunft nach ein französischer Schweizer, besaß auch noch diese Bürgerschaft und die österreichische dazu. Die Staatseisenbahn-Gesellschaft der alten Monarchie bediente sich des Herrn Emile Guys als eines Bindegliedes zum französisch sprechenden Auslande, bei tarifarischen Verhandlungen und allem, was da hereingehört; in diesem Ressort also spielte seit vielen Jahren und Tagen die Amtstätigkeit des Regierungsrates sich ab, der in Wien sein Büro hatte, jedoch die halbe Zeit in Frankreich und in der Schweiz auf Reisen zu sein pflegte. Innerhalb Österreichs gehörte er zu jenen ausgezeichneten Personen im Eisenbahnverkehr, die stets erster Klasse fuhren, jedoch keine Fahrkarte kauften, sondern nur eine bequem in der Rocktasche steckende Legitimation mit leichtem und raschem Griffe präsentierten: und so viele Gulden hätten etwa der Major Laska und der Leutnant Melzer einem österreichischen Kondukteur gar nicht geben können, um eine auch nur annähernd so zauberisch-respektschaffende Wirkung hervorzubringen wie jenes bescheidene durchsichtige Celluloid-Etui mit Photographie und Karte darin.
Seine Frau war ein wenig schief, oder ist einem das nur so vorgekommen? Sie hielt den Kopf etwas eigentümlich. Zu den Tarock-Soupers im Hause Stangeler hat sie sich selten mit einladen lassen – obwohl doch, wie man sieht, manche Tarockanten ihre Damen hierher mitzubringen pflegten – meistens schützte sie irgendwas vor. Guys hatte zwei Kinder, ein gewecktes flinkes Mädel und einen ernsthaften gewissenhaften Buben von ganz erstaunlicher Häßlichkeit, der später das geworden ist, was man einen kreuzbraven Menschen zu nennen pflegt.
Sein Vater war nicht kreuzbrav, sondern nur sehr solide, ein Cavalier altösterreichischer Schule, und er war nicht häßlich sondern das genaue Gegenteil davon: ein dunkler, trockener romanischer Kopf auf einer hohen, schlanken Gestalt. An den Schläfen mochte das Haar seit jeher leicht silbern gewesen sein, wahrscheinlich schon von nicht unbewegten Jugendtagen her; es gehörte das zum Typ des Mannes und seiner ganzen Manier, und es sah charmant aus und paßte irgendwie zu einer bis ins kleinste ausgebildeten und ausgeschliffenen Courtoisie, wie sie Herrn Guys eignete.
René fühlte sich plötzlich von der Empfindung angeflogen, daß es seiner Schwester Etelka jetzt garnicht so sehr um einen Wink – den sie bei aller Vorsicht leicht hätte empfangen können, ein Kopfnicken Renés hätte ja genügt – zu tun sei, ob ihr Brief an seinen Ort gelangt wäre, und daß sie es keineswegs aus Ängstlichkeit vermied, ihn anzublicken oder sich ihm zuzuwenden: denn daß er keine Dummheit oder Plumpheit begehen würde, das mußte sie ja ganz gut wissen. Sondern Etelka schien sich gewissermaßen auf einer anderen Ebene zu befinden, und sie lehnte von daher nicht dazugehörende Nachrichten und deren Kenntnisnahme ab. Stangeler empfand das einigermaßen deutlich, wenn ihm gleich die Ebene, um die es hier ging, als eine kaum glaubliche, ja absurde erschien: denn daß man auf eine solche Weise, wie Etelka nun, mit einem Mitgliede des – Oberhauses sozusagen (und zu dieser Sippe und Klasse von absolut erwachsenen alten Herren gehörte für Stangeler der Regierungsrat, ein gültiger Vertreter also vom oberen Ende des Tisches, wenn er gleich heute zufällig hier in nächster Nähe saß) anknüpfte, erschien ihm unerhört und fast im Gerüche des Verrats und Frevels. Der Regierungsrat gehörte doch gewissermaßen dem Vater, in dessen nächste Nähe also Etelkas Frechheit sich jetzt und hier verstieg.
René war wieder in sich selbst zurückgesunken – gleichsam von Etelka, als von einer nicht ganz geheuren Person, ablassend – und vollendete die eifrige Bearbeitung eines Stückes vom Kapaun, als vom obersten Ende des Tisches her ein Eingriff in dessen unterstes erfolgte.
Der Primarius Doktor Hartknoch, den kleinen grünen Römer erhebend, in welchem das Gold eines reinen

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