Die Strudlhofstiege
WeinhauerProduktes aus Niederösterreich lag, deklamierte:
Vinum bonum et suave
bonis bonum, pravis prave,
cunctis sapor dulcis, ave
mundana laetitia!
Die Mama Stangeler sah amüsiert an ihm vorbei, sie kannte seine lateinischen Perorierungen und die gehörten eben zu ihm dazu, den sie im übrigen als ein Original schlechthin abtat und also gewissermaßen entwertete. Denn die Erheblichkeit irgendeiner Person neben der ihres Gatten lag außerhalb ihrer Denkbarkeiten. Der Vater Stangeler, wie manche nach außen gerichtete Personen von mächtiger Energie, Arbeitskraft und Erwerbsfähigkeit, dazu vom Erfolge in jeder Hinsicht gekrönt, besaß so etwas wie eine starke Raumverdrängung auch in seelischer Hinsicht, ein Anbranden gegen den anderen Menschen und ein Übergreifen auf ihn, kurz, eine Manier, welche Individuen von geistigem Format schlecht vertragen und der sie im allgemeinen ausweichen. Unter den Freunden von Renés Vater befand sich kein einziger wirklich bedeutender Mann, und, so seltsam das klingt, wenn man an die kleine, schon ganz persönlichkeitslos gewordene Frau von Stangeler denkt, gerade sie hätte einen solchen am allerwenigsten geduldet und gewiß auf ihre Art Mittel gefunden, ihn zu entfernen. So sehr war die solitäre und omnipotente Rolle eines jupitergleichen Gatten und Vaters ihr zur Entsprechung geworden.
Unter diesen Freunden des Hausherrn aber bildete der Doktor Hartknoch in gewissem Sinne eine Ausnahme. So wenig er durchschnittlich aussah, so wenig war er's, und zugleich ebensosehr verschieden von allem, was hier in der Familie als Regel galt. Zudem eignete ihm die kaum definierbare autoritative Sonderstellung, welche der Arzt, und gar ein als hervorragend anerkannter Arzt, nun einmal unter den Menschen hat. Doktor Hartknochs vertraute und freundschaftliche Art des Umgangs mit seinen beiden Töchtern, eine Manier, die er ohne weiteres auch auf die Kinder der Familie Stangeler übertrug, deren Lebensäußerungen er durchaus ernst nahm und deren Meinungen und Probleme, wenn man's so nennen will, er mit ihnen diskutierte – nach den Stangeler'schen Hausgesetzen eine Lächerlichkeit – das alles zusammen war nicht eben geeignet, ihm die besondere Gunst der Hausfrau zu erwerben. Weil sie aber nun einmal mit der Frau Primarius eng befreundet war, und zwar von Jugend auf, so ließ sie's hingehen und tolerierte den Doktor, welchen sie zuinnerst als einen Halbnarren gleichsam abschob. Denn, so merkwürdig man's immer finden mag: für sie war es ein Unerhörtes, daß jemand in geistiger Hinsicht von ihrem Gatten unabhängig dastand, ja sich etwa gar kritisch ihm gegenüberstellen konnte: und wenn so etwas auch gar niemals in Erscheinung und Äußerung trat, so wirkte auf Frau von Stangeler allein schon die hier zweifellos dazu vorhandene Möglichkeit gewissermaßen alarmierend.
»Ja – wie war das nun, Herr Primarius«, rief der Landesgerichtsrat Hunt mit seiner stets heiseren Stimme über den Tisch, »mein Latein ist schon etwas eingerostet!« Er saß zwischen Frau von Stangeler und der rundlichen gescheiten Jetty Hartknoch, neben welche sich unten noch Asta anschloß, und so war er seiner eigenen Frau – einer Dame von ausgesprochen italienischem oder südfranzösischem, etwas ziegenartigem Typus mit vorspringenden oberen Schneidezähnen – gerade gegenüber, denn diese hatte ihren Platz zwischen Doktor Hartknoch und dem Regierungsrate Guys.
»Was ist denn das? Doch nicht klassisch?« fragte der Hausherr beiläufig, aber nicht uninteressiert.
Doktor Hartknoch wiederholte langsam den Vierzeiler und wollte eben eine Übersetzung anschließen: da legte sich der Vater Stangeler mit einer raschen Handbewegung in's Mittel und sagte: »Lassen Sie, lassen Sie, Primarius, das soll uns jetzt unser homo gymnasiasticus sive asinus gymnasiasticus aere perennius dort unten übersetzen. Also frisch los, René!« In den letzten Worten lag schon eine gewisse Schärfe, und mancherlei lag in dieser Schärfe versammelt und verschlungen: die apriorische Neigung vielleicht zu einem Eingriffe in Renés still gefräßiges Idyll dort unten; zugleich eine Art Drohung für den Fall, daß der Sohn jetzt den Vater blamieren würde; ganz zu unterst die aus rein nervösen Gründen am Schopf genommene Gelegenheit zu einem Angriffe überhaupt, nach irgend einer Seite hin; und ganz zu oberst so etwas wie eine nun zu erfüllende pädagogische Aufsichtspflicht. Alles in allem, es war einer jener Anlässe gekommen, bei
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