Die Strudlhofstiege
Weltkriege von 1914 ist Grauermann als Attaché nach Konstantinopel gekommen, ausgerüstet mit einem umfänglichen Bestallungs-Dokumente vom k. u. k. Ministerium des Äußeren und mit einer ansehnlichen Reihe von Goldfüchsen, denn solchergestalt bezahlte der alte Staat die Reisediäten und Vorschüsse. Etelka blieb als letzte Tochter des Hauses noch durch eine längere Zeit daheim, bis in die Kriegsjahre hinein – Asta hatte sich inzwischen vermählt – und erst während jenes Krieges hat sie heiraten können, nachdem Grauermann Vicekonsul geworden war.
Natürlich hat er zwischendurch mehrmals Urlaub von Konstantinopel gehabt, unter anderem knapp vor Ausbruch des Krieges noch, als René Stangeler eben seine Matura oder Reifeprüfung abgelegt hatte. Es war in einiger Hinsicht eine bemerkenswerte Zeit. Der alte Kaiserstaat hatte im gleichen Jahr durch das k. k. Eisenbahnministerium die langerwartete Aus schreibung des Projektes für die bosnischen Bahnen bekannt gemacht und ein Offert – die Strecke Banjaluka-Jaice betreffend – welches Herr von Stangeler dem Ministerium gegen den Sommer zu unterbreitete, hat damals vor anderen den Vorzug erhalten. Das heißt aber: für Herrn von Stangeler waren diese Monate und Wochen eine Zeit des Hochdrucks, eine Campagne. Er verbrachte sie großenteils in Bosnien und nur tagweise in Wien. Hier befand sich damals im Juni lediglich René, der Maturant, in der Wohnung und ein älteres Dienstmädchen; zu Anfang des Juli kam Etelka von der Villa herein, Grauermanns wegen natürlich, wenngleich unter anderem Vorwande, denn trotz ihres öffentlichen Verlöbnisses hätte man ihr so ein paar Tage der Freiheit, mit dem beurlaubten Grauermann zusammen im hochsommerlichen Wien, denn doch nicht zugestehen können, ja gerade wegen des Verlöbnisses nicht. Er hätte sie erst draußen auf dem Lande sehen dürfen, wo auch seine Eltern zur Zeit sich aufhielten. Nun, eines Tages war Etelka da. Der Vater, wenn vorübergehend in Wien, nahm nicht einmal an den Mahlzeiten teil, sondern speiste in der Stadt mit seinen Mitarbeitern und anderen Personen, mit welchen er konferierte. Selten durchbrauste er die weitläufigen Räume und hielt sich allermeist, wenn er einmal zu Hause war, im ersten Stockwerk auf, in seinem schönen großen Arbeitszimmer, wo man dann das Telefon klingeln hörte; alle Fenster an der Schattenseite des Hauses standen ja wegen der Hitze offen.
Etelka bemerkte nicht ohne Befremden, daß René mit einem Cutaway bekleidet zur Schule ging, dachte sich weiter nichts dabei und hat dann nachmittags von ihm erfahren, er habe seine Matura bestanden. Als dies kurz danach Grauer mann bei einem Telefongespräche mit Etelka gehört hatte, griff er die Gelegenheit zu einer Feier mit dem größten Vergnügen auf – insoweit ein echter Ungar – und ließ alsbald eine herzliche Einladung zugleich mit seinem Glückwunsche an René ergehen.
Der Vater Stangeler hielt sich damals für wenige Tage draußen in der Villa auf.
Sie sind nach ihrem Feste selbdritt einigermaßen beschwipst in einem Automobil von der ›Goldnen Waldschnepfe‹ in Neuwaldegg bis zu Renés Elternhause gefahren, wo dieser vorausschleichend sicherte – ob nicht etwa abends der pater familias eingetroffen sei!? Aber es war niemand da, und jetzt, lange nach Mitternacht, bestand auch keine Gefahr mehr. Sie kochten zunächst türkischen Kaffee und tanzten in dem weiträumigen zweiten Stockwerk herum. Es kam auch zu einigen grotesken Auftritten, denn das Schlafzimmer des Herrn von Stangeler wurde betreten und in diesem hell erleuchteten großen Raume hat René eine Ansprache gehalten, eine revolutionäre Agitationsrede, welche immer wieder in der rhetorischen Frage gipfelte: »Und das will ein Demokrat sein!?« Der Maturant oder eigentlich jetzt Abiturient hielt dabei einen Möbelpraker aus Rohr in der Hand und ließ ihn bei den Höhepunkten seiner Rede auf die rotseidne Bettdecke des väterlichen Lagers niedersausen. Sie tobten dann noch des längeren (Grauermann wäre kein Ungar gewesen, hätt' er nicht etlichen Champagner hinten im Automobil mitgenommen), und es mag halb drei Uhr geworden sein, bevor René damals zum Schlafen gekommen ist. Am nächsten Morgen ist er spät und freilich leichten Herzens erwacht. Der Himmel draußen war rein blau, die Sonne lag da und dort schon ersichtlich heiß in dem weiten Hof-Viereck und auf den tongelben Mauern der Zinskasernen, die es umgaben. Aus tiefem Grunde streckten sich drei
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