Die Stunde der Hexen - Midnight Hour 4 - Roman
können. »Mach nicht solche Witze, Mom.«
Sie hatte den Anstand, beschämt dreinzublicken. »Es tut mir leid, du hast Recht. Es ist bloß so schön, dich zu sehen. Du wirst nicht gleich wieder weglaufen, oder?«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich werde hier sein, wenn du aufwachst.«
»Gut.«
Und das war’s auch schon. Das Auftreten des Chirurgen war sehr beruhigend. Als er sagte, es handele sich um reine Routine, nichts Beunruhigendes, fing ich an, es zu glauben. Wir warteten in einem dieser typischen Krankenhauswartezimmer mit Plastikstühlen und veralteten Zeitschriften, die aufgefächert auf Tischen lagen. Plastikpflanzen und Bilder von Blumen unterstrichen die gekünstelt fröhliche Atmosphäre. Ben war sehr geduldig und saß die ganze Zeit bei mir. Dad stellte ihm Dad-hafte Fragen bezüglich seiner Arbeit: Also, mein Sohn, womit verdienen Sie Ihren Lebensunterhalt? Ben schaffte es zu antworten, ohne die eher schmutzigen Geschichten aus seiner Berufspraxis preiszugeben. Wie zum Beispiel Cormac. Dad plauderte über seine Arbeit im Bankwesen. Und
da waren immer die Kinder, von denen wir uns ablenken lassen konnten. Sie stellten sich in dieser Hinsicht als sehr nützlich heraus. Ich sah zu, wie sie ihre Pappbücher lasen - so taten, als läsen sie -, und ihre Stofftiere durch die Gegend warfen. Ben beobachtete mich, wie ich ihnen zusah, und wir sprachen kein Wort.
Mom brachte die Operation reibungslos hinter sich. Der Chirurg war sich sicher, dass er den ganzen Knoten entfernt hatte - bisher hatte noch niemand das Wort Tumor in den Mund genommen -, doch die Untersuchungsergebnisse würden erst in einer Woche vorliegen. Also warteten wir jetzt.
Nach der Operation gingen Ben und ich nach Hause - diesmal ein neues Zuhause, jedenfalls für mich. Er hatte eine Eigentumswohnung im ersten Stock nördlich des Cherry-Creek-Gebiets. In seiner Abwesenheit war die Wohnung ein wenig muffig geworden. Eingemottet. Ich hatte Ben bisher nicht persönlich herkommen lassen, da die Möglichkeit bestand, dass Carl ihn fände, ihn als streunenden Eindringling betrachten und Jagd auf ihn machen würde.
Es war eine Junggesellenwohnung mit wenig Dekoration. Im Wohnzimmer gab es ein gemütliches Ledersofa und einen Fernseher mit Flachbildschirm. Auf einem alten Sofatisch stapelten sich Bücher, Zeitschriften und Unterlagen. Die Hälfte des Zimmers war ein Büro: Ein Schreibtisch in der Ecke war mit Arbeit bedeckt, abgesehen von einer freien Fläche, die etwa so groß wie ein Laptop war. Vom Wohnzimmer ging ein Balkon ab. Die Küche
war winzig, und das kleine Schlafzimmer ging nach hinten hinaus. Ich verspürte den Drang, sämtliche Schränke zu durchsuchen, um hinter seine Geheimnisse zu kommen.
»Sie ist nicht abgebrannt«, sagte er, als er die Tür hinter sich schloss. »Ich bin beinahe schockiert.«
»Wie lange wohnst du hier schon?«
»Vielleicht vier Jahre. Die Wohnung hat mir gefallen, der Preis hat gestimmt.« Er trat an die gläserne Balkontür und betrachtete seine Aussicht auf die Stadt; ein Teppich aus Bäumen und ein Streifen Gebäude. Dann holte er tief Luft und ließ sie wieder entweichen. »Es ist schön, wieder da zu sein. Ich habe es vermisst.«
Ehrlich gesagt hatte ich Denver ebenfalls vermisst. Meine Lieblingsrestaurants, meine Lieblingsorte, die Bergkette im Westen. Doch ich konnte meine Rückkehr nicht genießen. Zu viele Sorgen.
Ich ließ meine Tasche fallen und setzte mich aufs Sofa. Faltete die Hände und sah mich nervös um. Das Exil war vorbei, einfach so. Monatelang war ich heimatvertrieben gewesen, seitdem ich Denver verlassen hatte. Jetzt war ich wieder da, und ich kam mir immer noch heimatlos vor. Ich war zu Gast in einem fremden Haus.
Ben fuhr fort. »Wir sollten wohl einkaufen gehen. Ich hatte meine Mom gebeten, sämtliche Nahrungsmittel mitzunehmen, als sie für mich nach dem Rechten gesehen hat. Wenigstens wird der Kühlschrank nicht nach saurer Milch riechen.«
Ohne ihm wirklich zuzuhören lehnte ich mich zurück und hielt mir den Kopf. Was sollte ich nur tun? Eigentlich hätte ich mittlerweile daran gewöhnt sein müssen, dass
mein Leben aus den Fugen geriet. Es schien so häufig zu passieren.
Er ließ sich neben mich auf das Sofa plumpsen. »Möchtest du dir das Schlafzimmer ansehen?« Er hatte die Augenbrauen vielsagend hochgezogen.
»Ich wette, das bekommen alle Mädchen zu hören«, sagte ich.
»Dich scheint die Wohnung nicht sonderlich zu beeindrucken.«
»Das ist es nicht. Ich
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