Die Stunde der Hexen - Midnight Hour 4 - Roman
Ben.
Ich wusste es nicht. Während die Schmerzen stärker wurden, starrte ich die funkelnde Hülse auf meiner Hand an. Die Patrone glänzte, heller als diejenigen, mit denen wir auf Papierzielscheiben geschossen hatten, wie ein Stück gefrorenes Quecksilber oder ein Schmuckstück, beinahe schön. Wie Magie. Dieses kleine Ding konnte mich umbringen. Und ich hielt es, apathisch. Als spielte ich mit dem Feuer.
Ben nahm mir die Kugel aus der Hand und ließ sie in das Magazin gleiten. Ich rieb meine Handfläche an meiner Jeans. Langsam ließen die Schmerzen und der Ausschlag nach.
»Vielleicht müssen wir niemanden erschießen«, sagte ich. »Vielleicht gehen sie einfach fort. Vielleicht kann ich sie dazu überreden, die Stadt zu räumen, uns in Ruhe zu lassen.«
Ben ließ sich lange mit seiner Antwort Zeit. »Vielleicht.«
»Ich möchte niemanden erschießen müssen, Ben.« Wieder eine lange Pause. »Dann ist es bloß gut, dass ich und Dack da sind.« Er packte die Waffen in den Kofferraum und ging zum Fahrersitz.
»Es wird schon funktionieren«, sagte ich, als wir losfuhren.
»Ja, klar«, sagte Ben.
Keiner von uns beiden klang sich seiner Sache sicher.
Endlich war es so weit.
Rick machte es sich in dem Sessel im Studio bequem. Er sah ausgesprochen nervös aus, sein Blick war unruhig, seine Haut zu blass, selbst für einen Vampir. Ich wollte die ganze Sache hinter mich bringen, bloß damit er wieder normal wäre. Ich war an einen selbstbewussten und sogar liebenswürdigen Rick gewöhnt.
Wenigstens hatte ich wieder den adretten Rick vor mir, den ich kannte, ganz feine Manieren und teure Kleidung.
»Ich bin nur hier, weil ich nichts zu verlieren habe«, sagte er.
»Oh, kling nicht so niedergeschlagen. Das wird ein Riesenspaß!«
Matt in seinem Regieraum sah nicht so sicher aus. Auch Rick wirkte skeptisch.
»Folge noch ein wenig länger meinem Plan«, sagte ich. »Dann ist alles vorüber.«
»Ich überlasse es ganz dir. Du bist der Profi.« Er zog sich mit einem giftigen Blick den Kopfhörer auf. »Ich habe da allerdings eine kleine Bitte. Du musst mich Ricardo nennen.«
»Ist das dein richtiger Name?«
»Es ist ein Gebietername.«
Und das war noch so eine Sache bei Vampiren: Warum hatten sie so ein Problem mit Spitznamen? »Wie du willst.«
Zu diesem Zeitpunkt hielt mich nur noch schierer dickköpfiger Eifer aufrecht. Showbusiness, Baby. Matt zählte den Countdown vor, und die Musik wurde eingespielt.
»Guten Abend und willkommen zur Midnight Hour . Heute geht es wieder um Vampire. Es wirkt vielleicht, als hätte ich in letzter Zeit viele Sendungen über Vampire gemacht, aber so ist das eben. Im Moment scheint es viele zu geben. Heute geht es um Vampirpolitik. Wie jede andere Gemeinde auch haben sie ihre Anführer, ihre Gefolgsleute, ihre Strukturen, ihre Organisationen - und ihre Probleme. Wir haben einen ganz besonderen Gast hier, der sich mit uns über die verschlagenen Eigenarten und Vorstellungen der Vampire unterhalten wird: Denvers Vampirgebieter, Ricardo.«
Das würde viele Leute auf die Palme bringen. Es war ein bisschen, wie in ein Wespennest zu stechen.
»Hi, Ricardo, wie geht es dir an diesem wunderbaren Abend?«
»Mir geht es einfach fantastisch«, sagte er mit einem Zähneknirschen. Es gelang ihm jedoch, aufrichtig zu klingen. Jedenfalls würde das Mikrofon Aufrichtigkeit übertragen. »Es ist mir eine Ehre, in deiner Sendung zu sein.«
»Danke, das höre ich gern«, sagte ich. »Ich habe schon gedacht, die meisten Vampire lassen mich gewähren, weil sie mich für niedlich und harmlos halten.«
»Oh, das würde ich dir nicht vorwerfen.«
»Moment mal - Ersteres oder Letzteres?« Er lächelte nur. »Okay, machen wir weiter. Heute Abend würde ich gern ein paar Geheimnisse ergründen, das Wie und das Warum. Sozusagen die Fragen, die nie ans Tageslicht dringen. Aber erst einmal: Meinst du, dass du dir Ärger einhandelst, weil du solche Fragen beantwortest? Und damit gegen den Verschwiegenheitskodex verstößt?«
»Ach, wahrscheinlich. Das eine oder andere wird mir Ärger einbringen.«
»Also ist es gefährlich, ein Vampir zu sein.«
»Ja. Gewöhnlich schon. Die Leute gehen davon aus, dass die Unsterblichkeit zum Vampirismus dazugehört. Aber du wärst überrascht, wie viel Mühe es einen kostet, unsterblich zu sein. Die alten Vampire sind gefährlich, weil sie wissen, wie man überlebt.«
»Merkt euch das gut, all ihr Möchtegernvampire da draußen! Also, Ricardo - wie bist
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