Die Stunde der Schwestern
Haute-Couture-Kollektion eingestellt, es gibt nur noch die Prêt-à-porter.« Auch Bérénice kannte das Gerücht. Es sollten mindestens zweihundert Leute entlassen werden, darunter das gesamte Atelier für Stickereien, das Bérénice erst vor neun Monaten aufgebaut hatte.
»Nun, es steht ja noch nichts fest. Ich denke, der Erfolg dieser Show wird über die Zukunft entscheiden.«
Cathérine reagierte nicht, sie schien zu nervös, um richtig zuzuhören. Sie wirkte übermüdet und enttäuscht. Wenn auch sie entlassen wurde, stand sie mit zweiundvierzig Jahren vor dem Nichts, in ihrem Alter hatte sie keine berufliche Chance mehr.
Oben an der Treppe erschien jetzt das russische Model Nastassja in einem hellgrauen Abendkleid aus Chiffon, dessen Bustier besetzt war mit kleinen wehenden Blütenblättern aus dem gleichen zarten Stoff, bestickt mit winzigen Steinchen, die im Licht des Scheinwerfers aufglühten und wieder erloschen. Nach einer kurzen Pause trat das Starmodel Kate zu ihr. Sie trug die Kreation von Bérénice, eine chinesische Jacke aus gelbem Satin, mit einem theatralisch großen Kragen, bestickt mit Drachen und Vögeln. Bérénice war glücklich, denn dieses Modell war einfach sensationell.
Im Raum machten sich Müdigkeit und Gereiztheit bemerkbar. Die übliche Nervosität ging in Hysterie über, und jeder war unruhig, da zum ersten Mal in der Geschichte des Hauses der Designer den Proben fernblieb und sich nicht einmal entschuldigt hatte. Das ließ die Vermutungen über das Aus der Marke Maxime Malraux eskalieren.
Monate harter Arbeit, oft nächtelanger Überstunden lagen hinter dem großen Stab der Mitarbeiter. Überstunden, die von Maxime nicht bezahlt wurden. Und jetzt ließ er sein Team im Stich, obwohl alle bis zur Erschöpfung für seine Kollektion gearbeitet hatten. In den wichtigsten Stunden vor der entscheidenden Show war Maxime nicht da.
»Jetzt kommt die
Symphonie Classique«,
kündigte Cathérine ironisch an, »alte Klamotten, neu aufbereitet.« Doch auch sie musste zugeben, dass diese Gruppe Maximes Geniestreich war. Zwanzig Models kamen die Treppe herunter. Die ersten trugen Maximes berühmte rote Abendroben, dazwischen wurden die eleganten Kleider, die Hollywood-Kleider gezeigt, und zum Schluss sollten dann noch acht Starmannequins in den legendären schwarzen Kostümen auftreten.
»Bérénice?« Camilla, die Chefdirektrice, drängelte sich zu ihr durch und zog sie zur Seite. »Ich soll dir ausrichten, Maxime wartet draußen auf dich. Du sollst sofort kommen. Aber niemand darf wissen, dass er da ist«, flüsterte sie ihr noch schnell zu. Dann war sie wieder weg und lief die Treppe hinauf in den Backstage-Bereich, in dem ein Team von Stylisten die Frisuren und das Make-up der Models ausprobierten. Bérénice glitt von ihrem Hocker herunter, nickte Cathérine zu und ließ sich die Eingangstür öffnen. Draußen war ein nasser grauer Februartag, an dem kaum Licht am Himmel zu sehen war und jeder Pariser schlecht gelaunt durch die Straßen hastete. Vor dem Gebäude erwartete sie Maximes Chauffeur Alain.
»Kommen Sie! Rasch.«
Er lief ihr voraus zu Maximes Limousine, die er ein paar Häuser weiter vor dem Hotel Plaza geparkt hatte. Er öffnete Bérénice die hintere Tür und forderte sie auf einzusteigen. Er selbst blieb draußen, gegen die Fahrertür gelehnt, stehen.
Maxime saß auf der Rückbank in der Ecke. »
Salut,
Bérénice, wie ist die Probe gelaufen?«, wollte er wissen, kaum, dass sie Platz genommen hatte.
»Gut, ganz gut.« Bérénice blieb reserviert.
»Ich wollte Sie schon lange sprechen«, erzählte Maxime, der keinen Hehl aus seiner schlechten Laune machte. Besorgt fragte sich Bérénice, ob jetzt der richtige Zeitpunkt für dieses wichtige Gespräch war. Maxime wirkte unkonzentriert, sein Gesicht war blass, und tiefe Schatten lagen unter seinen Augen.
»Ich habe nicht viel Zeit«, stellte er klar, während er nervös seine Beine übereinanderschlug. Er schien unruhig und gehetzt, und Bérénice spürte, dass er sich auf kein langes Gespräch einlassen wollte. Aus seiner Jackentasche holte er einen kleinen Schlüsselbund, mit dem er nervös herumspielte.
»Von Camilla habe ich erfahren, dass Sie Fleurs Nichte sind, ist das wahr?«
»Ja, das ist wahr«, antwortete Bérénice. Als sie vor zehn Tagen aus Saint-Emile zurückgekommen war, hatte sie es der Direktrice erzählt.
»Woher wissen Sie das?« Unruhig huschte Maximes Blick über das Gesicht von Bérénice.
»Das
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