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Die Stunde der Schwestern

Die Stunde der Schwestern

Titel: Die Stunde der Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Maybach
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Hupen eines Autos, ein paar laute Stimmen, lautes Gelächter.
    Zu Hause würde sie Madame Bellier anrufen, um ihr die Kleider anzubieten. Die Modemagazine, die Kartons mit den Modefotos und den wenigen Büchern konnte sie mit einem Kurier abholen lassen. Noch einmal ging sie zurück ins Ankleidezimmer, vielleicht fand sich noch etwas, das sie behalten wollte, oder einen Hinweis, wo Fleur jetzt lebte, eine Adresse in Brasilien vielleicht oder irgendwo sonst auf der Welt. Bérénice blieb vor dem geöffneten Schrank stehen und sah alles noch einmal durch. Sie hatte nichts übersehen. Doch dann konnte sie nicht widerstehen und zog die Nesselhülle von einer der Abendroben. Darunter kam ein langes weißes Kleid zum Vorschein, aus schwerem Duchesse mit einem mit schwarzen Blumen bestickten Bustier und einem weiten Rock. Givenchy.
    Bérénice schloss die Augen und atmete tief den zarten Duft eines orientalischen Parfums ein. Und plötzlich wusste sie, sie kannte den Duft aus ihrer fernen Kindheit. Es war aber nicht der Moment, als sich Fleur über sie gebeugt und sie geküsst hatte. Es gab noch eine andere Erinnerung, und die verband sich mit Dunkelheit, mit Kälte und tiefem Entsetzen. Schweiß brach Bérénice aus, ihre Zähne schlugen aufeinander, Panik griff nach ihr und nahm ihr den Atem. Dieser entsetzliche Augenblick, wann war das gewesen? Doch das Erlebnis verharrte in Dunkelheit, und was blieb, war tiefe Angst.
    Bérénice warf die Schranktür zu und hastete ins Wohnzimmer zurück. Sie klemmte sich den Karton mit der Puppe unter den Arm, nahm ihre Handtasche, hängte sich das rote Chiffonkleid über den Arm und rannte aus der Wohnung. Sie hetzte die zwei Stockwerke hinunter und rannte durch die große Halle mit ihrem schwarz-weiß gekachelten Boden, hinaus auf die Rue Saint-Honoré. Sie hastete weiter, sah niemanden und stieß Leute an, die sich kopfschüttelnd nach ihr umdrehten. Sie lief die lange Straße entlang, am Grand Palais vorbei, die Avenue de l’Opéra hoch, bis sie endlich vor dem Opernhaus anhielt. Mit keuchendem Atem stand sie vor der Treppe, die hinunter zur Metrostation führte. Sie rührte sich nicht von der Stelle und empfand Trost dabei, die Nähe der vielen drängelnden Leute zu spüren, angerempelt zu werden, ihre Stimmen zu hören und inmitten der lärmenden Stadt zu stehen.
    Als ihr Atem sich beruhigt hatte, lief sie am Opernhaus vorbei bis zu den Galeries Lafayette. Dann ging sie den Boulevard Haussmann hinunter bis zu ihrer Wohnung. Sie schloss die Tür auf und lehnte sich innen mit einem tiefen Aufatmen dagegen. Sie machte alle Lampen an, holte die Puppe aus dem Karton und setzte sie auf ihr Bett, daneben breitete sie das rote Kleid aus und strich über den zarten Stoff.
    Im Wohnzimmer ließ sie sich auf das Sofa fallen. In der Überschaubarkeit der kleinen Wohnung entspannte sie sich allmählich, und das helle Licht vertrieb ihre Ängste und die dunklen Ahnungen einer fernen Vergangenheit.
    *
    Zu Hause angekommen, ging Maxime sofort ins Bad. Er wollte sich noch zurechtmachen, bevor Aziz kam. Doch seine Gedanken gingen zu dem Gespräch mit Bérénice zurück.
    »Ich habe Fleur geliebt«, hatte er zu ihr gesagt. »Auf meine Art habe ich Fleur geliebt.« Es war das Bekenntnis eines müden alten Mannes, aber es entsprach der Wahrheit. Er mochte Fleur sofort, als er in der Bar des Théâtres neben ihr an der Theke gestanden hatte. Ein schönes Mädchen, vielleicht ein wenig zu dünn, aber gerade richtig für die Haute Couture. Das ausdrucksvolle Gesicht, die großen, dunklen Augen, der sinnliche Mund.
    »Meine kleine Provinzlerin«, murmelte Maxime versonnen, als er sich zum Spiegel vorbeugte und kritisch übers Gesicht fuhr. Wie schnell die Jahre vergangen waren!
    Fleur war der einzige Mensch gewesen, der bedingungslos zu ihm stand. Sie hatte ihn aufgebaut, wenn er an seinem Talent zweifelte, und sie war bei ihm, wenn er seine Depressionen durchlitt. Sie hatte an ihn geglaubt, ihm schließlich die große Chance seines Lebens vermittelt. Maxime et Fleur – und er hatte sie verraten.
    »Judas«, sagte Maxime zu seinem Spiegelbild. »Du elender Judas!« Konnte er es jemals wiedergutmachen? Er musste es wenigstens versuchen.
    Jetzt aber wollte er nicht an Fleur denken, sondern sich auf seine Verabredung mit Aziz vorbereiten. Vor einigen Wochen erst hatte er den zweiundzwanzigjährigen jungen Mann kennengelernt, als er ihn bei einem Escortservice buchte, und jetzt schien es ihm, als könne er

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