Die Stunde der Seherin - Historischer Roman
Theatralisch schwenkte sie den von schwarzem Schleim tropfenden Lappen in der Luft und beugte sich dann über Christina.
»Gut macht Ihr das, hlæfdige , nun noch ein wenig mehr«, flüsterte sie. »Ich weiß, dass Ihr todsterbenskrank seid, Gott steh Euch bei, Ihr jammert ja, als hätte Euch der Leibhaftige beim Wickel.« Der lachte aus einer Ecke, sein Huf schlug nach ihr, verfehlte sie.
Christina stöhnte, ihr Husten indes war echt, ursprünglich zwar ein Mitbringsel aus der eisigen Bergluft, jetzt aber aus echtem Ekel geboren, denn das schmierige Tuch wedelte vor ihrer Nase herum. »Ach Gott, ach, im Himmel, liebste Freundin …« Beth drehte sich um. Die Hausfrau hockte mit starrem Blick am Feuer. Nackte Angst hatte ihr Gesicht in eine Maske verwandelt, nichts war mehr von der mutigen, tapferen Hausherrin übriggeblieben, die sie an der Tür so beeindruckt hatte.
»Schaff dieses Weib hinaus«, bellte der Mórmaer, »ich hab keine Lust, mir Eiterpusteln zu holen, bloß weil sie mich anschaut. Sie hat mich angeschaut – vielleicht sogar verhext mit ihren verdammten Eiterpusteln …« Mit böse verzerrtem Gesicht versuchte er einen Blick auf ihre Züge zu erhaschen, doch Beth war schneller und wischte mit dem Tuch darin herum. Christina würgte, wollte sich wehren. Der eine Bewaffnete kam näher, da hielt sie still, den Tränen nahe vor Ekel.
»Ich werf sie raus, hlæfweard «, sagte der Mann gleichmütig. Beth kam ihm zuvor – sie lud Christina auf ihre Arme und wedelte mit ihrem schwarzen Tuch vor sich her.
»Fort, macht mir Platz – aus dem Weg, ihr Herren …« Der Schotte wich vor dem Tuch und vielleicht auch vor ihrer Erscheinung, stolperte über das kahlköpfige kleine Mädchen, riss eine glimmende Torfplatte vom Stapel. Ein weiteres Kind heulte auf, als die Torfplatte seine Beine berührte. Máelsnechtai schleuderte seinen Napf nach den greinenden Kindern. Er traf das Mädchen am Kopf, der Napfinhalt verzischte in der Glut.
»Schafft sie hinaus, allesamt!«, brüllte er. »Schafft mir euer stinkendes Gesindel aus den Augen, ich bin müde – worauf wartet ihr?« Und sein Begleiter riss für Beth die Tür auf und gab ihr, als sie über die Schwelle schritt, noch einen ordentlichen Tritt in den breiten Hintern, dass sie vornüber in den Schnee kippte und Christina unter ihrer Last begrub. Die Schotten lachten, dass das windschiefe Haus wackelte. Dann schlug die Tür hinter ihnen zu.
»Heilige Jungfrau«, brummte Beth, »was für ein Unhold.« Sie wälzte sich von Christina herunter und in den Schnee. »Ich verstehe jetzt, warum wir vor ihm das Weite suchen, hlæfdige .«
Christina war froh, ihr Gewicht loszuwerden, und atmete tief durch. Die klare Nacht füllte ihre Lungen mit frischer Luft. Sie fuhr sich mit einer schneenassen Hand durchs Gesicht, tastete nach dem Stundenbuch auf ihrem Rücken. Dank Beths Riemenbefestigung steckte es sicher und fest unter ihrem Kleid. Der Fahle war im Haus geblieben, vielleicht um die Kinder zu erschrecken. Gottlob war er ihr und dem Buch nicht gefolgt, und sie wähnte sich sicher … er war ihr nicht gefolgt …
Der dritte Schotte machte sich immer noch an den Pferden zu schaffen, sattelte ab, raschelte mit einem Hafersack. Es roch nach frischen Pferdeäpfeln, Schweiß und feuchtem Leder. Die Rösser hatten sich nach dem scharfen Ritt beruhigt. Ihr Malmen und Schnauben legte einen Frieden nahe, der so falsch war wie ein Lied auf dem Schlachtfeld.
Keine der beiden Frauen wagte sich zu bewegen. Die Gefahr war nicht vorbei – nicht, solange der Pferdeknecht sie noch entdecken konnte. Der Mann drehte sich um. Die Atemwolke des Fahlen vernebelte sein Gesicht, wütend blähten sich die Nüstern, als er an ihm vorbeisprang. Der modrige Geruch nach Tod kroch unaufhaltsam auf Christina zu.
Von drinnen erklang ein spitzer Schrei, dann flogen harte Gegenstände umher, zu Tode erschrockenes Kindergebrüll erfüllte die Nachtluft – der Fahle schlug aus. Máelsnechtais Stimme überdröhnte alles, und seine Flüche waren furchtbar. Das Schreien der Frau ging in entsetzte Schluchzer über, wieder flog Mobiliar gegen die Wände. »Mama!«, weinte ein Kind, man hörte das Klatschen, wenn Hände auf Menschen treffen.
»Lasst sie, nehmt mich!«, gellte ihr Schrei durch die Nacht.
»Erst sie, dann dich …«, lachte der Mórmaer.
Der Mann bei den Pferden hatte sich umgedreht. Langsam kam er näher, wohl unschlüssig, ob er sich dazugesellen sollte. Beth umschlang Christina
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