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Die Stunde der Seherin - Historischer Roman

Die Stunde der Seherin - Historischer Roman

Titel: Die Stunde der Seherin - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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hoffentlich die kleinen Pferde warteten. Keinen Moment zu früh verschwanden sie von der Haustür, Christina sah noch, wie sie aufflog und der Mórmaer mit halb offenem Hemd und schlabbernder Bruch aus dem Haus stolperte und sich wild umschaute, während haltloses Weinen nach draußen drang – Schluchzen, Wehklagen, Schmerzenslaute. Die Frau drinnen begann hysterisch zu schreien, kaum dass der Besucher das Haus verlassen hatte: »Beweg dich, Æthel … sag was, tu was, beweg dich – Allmächtiger, habt Erbarmen, ihr Engel, mein unschuldiges Kind, mein schönes Mädchen, mein Augapfel, meine Æthel, Allmächtiger, gütige Jungfrau, steh mir bei – lieber Gott …« Man hörte einen Schlag ins Gesicht, ein Stöhnen, dann war sie still.
    Christina fuhr herum, wollte zurücklaufen, doch nun zog Beth sie unnachgiebig weiter. »Nein, hlæfdige – wir können nichts mehr tun! Wir können nichts mehr tun, wir können diesen Leuten nicht mehr helfen, niemandem hier – sie müssen sich selber helfen, hlæfdige , niemand kann ihnen helfen, niemand …« Beth weinte, das hörte man ihrer Stimme an. Trotzdem hatte sie die Kraft, Christina um die nächste Hausecke zu schieben – und da standen die beiden Pferde tatsächlich einträchtig nebeneinander im Mondlicht, so, wie sie sie dem Jungen überlassen hatten.
    Mit zitternden Händen band sie die Pferde los.
    »Wohin?«, murmelte Christina völlig verwirrt und schaute sich um. Überall nur Dunkelheit, schwarze Bäume, der Himmel war voller Wolken, die sich daranmachten, den vorwitzigen Mond wieder zu verdecken. Jähe Sehnsucht nach Nials Zuversicht gebenden Armen drohte sie zu überwältigen. »Wohin, Beth … wir haben uns verirrt …«
    »Nein, hlæfdige . Haben wir nicht.« Mit ihrem starken Arm hob die Frau Christina auf den Pferderücken, und als das Pferd erschrocken auf die Hinterbeine stieg, riss sie es an einem Ohr wieder zu Boden. »Und du schwarzer Teufel, dir werd ich helfen, deine Herrin abzuwerfen«, knurrte sie böse. »Wir werden dich aufessen, wirst schon sehen – besser, du gehorchst …«
    Woher Beth auch wusste, welchen Weg sie nehmen mussten – es war ein sanfter Weg ohne Steigungen und ohne jede Bedrohung. Sie ritten über schneebedeckte Heide, und nach und nach gaben die Wolken den Himmel frei. Der Mond war noch nicht ganz voll, aber stark genug, um ihnen als Laterne zu dienen. Die Pferde wirkten frisch. Sie eilten im flotten Pass über die Heide, sodass nicht einmal Beth meckern konnte.
    An einem Bach machten sie Rast. Beth hatte etwas von dem modrigen Brot eingesteckt – sie teilten es sich, weil der Hunger biss. Auf einem kleinen Findling kauerten sie nebeneinander, und die Arme der Frau waren lang genug, um Christina zu umfangen und ihr von ihrer Wärme abzugeben.
    »Schaut nur, hlæfdige «, flüsterte sie auf einmal. »Schaut – so langsam glaube ich an Vergebung, schaut bloß! Gott existiert! Allmächtiger …!« Und sie sank von dem Stein herunter in den Schnee und auf die Knie und faltete die Hände, um laut ein Paternoster anzustimmen, denn über ihren Köpfen entfaltete Gott für sie ein Bild aus Hoffnung und Schönheit.
    Etwas Grünes stieg über den Wäldern empor. Wie ein feiner Stoff, den jemand in die Luft geworfen hatte. Er bewegte sich. Breitete sich aus, quer über den Himmel, wurde feiner und schmaler … bis er zu einem Schal gefaltet genau über ihnen lag. Ein hellgrüner Regenbogen, mitten in der Nacht. Christina musste blinzeln, weil er so grell war, und dehnte ihren Hals nach vorne, als der Nacken steif wurde.
    Als sie wieder hochschaute, war da ein Engel am Himmel. Er flog über ihnen und hatte seine Schwingen über das Firmament gebreitet. Riesige Schwingen, die an beiden Seiten bis fast zur Erde reichten, und sie flogen – sie flogen dahin!
    Christina hörte ihr Rauschen und ein leises Klingeln, als ob tausend Glöckchen an jeder einzelnen Feder hingen, um der Welt von Gottes Allmacht zu künden. Wie kleine Vorhänge wehten die Federn im Wind, nach hier und nach dort, sie teilten sich und fanden wieder zusammen. Schließlich begannen sie sich zu kringeln, und der Engel flog davon. Hinter ihm wallte ein hellgrüner Vorhang, der immer dünner wurde und schließlich in feinste Spitze zerfiel. Dann war der Himmel dunkel.
    Schweigend warf der Mond sein Licht zur Erde.

ZEHNTES KAPITEL
    Und es ging heraus ein anderes Pferd, das war rot.
    Und dem, der daraufsaß, ward gegeben,
den Frieden zu nehmen von der Erde
    und dass sie

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