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Die Stunde der Seherin - Historischer Roman

Die Stunde der Seherin - Historischer Roman

Titel: Die Stunde der Seherin - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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mit beiden Armen »Bleibt ganz ruhig, in Jesu Namen …«, flüsterte sie. Schnee knirschte, eine eigenartige Untermalung des Dramas im Hause, wo man nun Menschen herumlaufen hörte. Dann gab es einen harten Fall und bitterliches Weinen, welches in schmerzerfülltes, abgehacktes Schluchzen überging, in jenem eigenen Rhythmus, den ein Mann vorgab, wenn er sich mit Gewalt nahm, was er nicht freiwillig bekommen konnte.
    Der Mórmaer von Moray gestattete seiner Lust lautstark freien Lauf. Sie fand den Weg durch alle Ritzen und durch den Rauchabzug und ließ alle auch außerhalb des Hauses wissen, dass ein Frauenleib nicht genug sein würde und dass er, nun aufs äußerste erregt, nach mehr gierte.
    Christina hielt das nicht aus. Wo war Nial, warum verhinderte er das hier nicht? Er hatte versprochen, hinter ihnen zu bleiben – wo steckte er? Warum kam er nicht zu Hilfe? Waren sie etwa schon wieder aufeinandergetroffen, der Mórmaer und er? Hatten sich geschlagen, gekämpft? Jeder weitere Gedanke an das, was noch passiert sein könnte, schmerzte wie ein Messerstich. Und doch musste sie auf Gott den Allmächtigen vertrauen und vorwärts denken. Und nicht daran, was sie möglicherweise verlieren würde. Das hatte Nial beim Abschied auch noch gesagt.
    Verlieren. Verlieren … Sie befreite sich aus Beths Armen und rappelte sich ungeschickt aus dem Schnee hoch. Beth griff in stummem Entsetzen nach ihrem Mantel, nach einer Falte, um sie aufzuhalten, nach irgendeinem Fetzen, doch er verrutschte nur auf ihren schmalen Schultern. Beim Aufstehen glitt die Kapuze von Christinas Haar. Verräterisch wallte die helle Pracht über ihren Rücken.
    » Hlæfdige Christina!«
    Der Mann stürzte auf sie zu, fasste sie bei den Armen, drehte sie ins Licht der Hoflaterne. » Hlæfdige … Ihr …« Ruaidrís Stimme überschlug sich fast. Er ließ sie los, packte sie erneut und wusste offenbar weder was er tun, noch was er sagen sollte hier draußen im Schnee, während drinnen die Frau jetzt jammernd um das Leben ihrer kleinen weinenden Mädchen bettelte.
    »Ich muss hinein, lasst mich durch«, giftete Christina den Schotten an, der sich ihr zumindest in den Weg stellte, »lasst mich vorbei, im Namen der Jungfrau …«
    »Ihr könnt nichts tun, hlæfdige ! Bringt Euch selbst in Sicherheit!« Ruaidrís Griff wurde fester. Spitze, angsterfüllte Schreie gellten jetzt durch die Nacht, und ersticktes Weinen war zu hören, immerzu Weinen, zunehmend überlagert von des Mórmaers Stimme. Immer lauter wurde es im Haus, man konnte kaum noch einzelne Stimmen voneinander unterscheiden.
    Nur die grenzenlose Qual, die drang an allen vorbei nach draußen.
    Ruaidrí riss Christina von der Tür weg und nach kurzem Zögern an sich. » Hlæfdige – flieht! Er will Euch! Er zwingt mich, ihm zu helfen – das müsst Ihr mir glauben! Flieht!« Sie sahen sich in die Augen. Christinas Misstrauen war unüberbrückbar – er hatte sie an den Mórmaer verraten. Angewidert stieß sie ihn von sich.
    » Hlæfdige , vergebt mir«, flüsterte er und sank vor ihr auf die Knie, packte ihr Kleid, ihre Hände, »vergebt mir, wie vergelte ich Euch Eure Hilfe …«
    »Helft uns hier raus«, sagte sie heiser.
    »Eure Pferde stehen hinter dem Haus angebunden, hlæfdige «, flüsterte er zurück. »Ich …«
    »Die Dicke!«, brüllte es da von drinnen, »her mit der Dicken – ich will die Dicke!«
    »Mehr kann ich Euch nicht helfen, hlæfdige «. Seine Stimme nahm einen gehetzten Tonfall an. »Rasch, fort mit euch hinters Haus, dort stehen eure Pferde. Fort mit euch …« Hastig stürzte er zu Beth und riss sie vom Boden hoch. »Fort mit euch, fort, alle beide, und reitet, so schnell ihr könnt! Gott schütze euch – der Schnee verrät ja eure Spuren, hlæfdige , reitet schnell …«
    Ächzend hielt Beth sich den schmerzenden Hintern. »Wer seid Ihr, dass Ihr ein doppeltes Spiel treibt? Wenn Ihr der Dame helfen wollt, dann helft der armen Frau da drinnen, Feigling!«, zischte sie böse.
    »Ich kann nicht …«
    »Feigling!« Beth spuckte vor ihm aus. »Kommt, hlæfdige .« Sie fasste Christina am Arm und zog sie von Ruaidrí weg. Dann drehte sie sich noch einmal um und hob die Faust. Mit einem Schlag beförderte sie den schmalbrüstigen Schotten in den Schnee. »So. Feigling, verdammter. Nehmt das zum Andenken an mich.« Und noch einmal spuckte sie auf den stöhnenden Ruaidrí. »Und das ist für die da drinnen.«
    Zusammen liefen sie an die Hausecke, wo ein Stück weiter

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