Die Stunde der Seherin - Historischer Roman
so, was Ihr nicht sagt. Eine züchtige Ehefrau hat nur eine Aufgabe – ihren Gatten zufrieden zu stellen. Wusstet Ihr das nicht? Wir fangen am besten gleich hier an …«
Das Stundenbuch presste sich wie eine Felswand gegen ihren Rücken und zwang sie, sich zu straffen. Kraft sickerte in ihren Körper, ließ sie alle Muskeln anspannen. Máelsnechtai lachte. »Ihr entkommt mir nicht mehr, hlæfdige .« Glühend heißer Atem wehte ihr ins Gesicht, doch er kam nicht vom Mórmaer … der Atem stob aus einer breiten, bebenden Nüster. Wenn sie nicht floh, würde er ihr Haar in Brand setzen! Der Fahle stand wartend am Waldrand, und er war nicht alleine gekommen! Sein feuerroter Gefährte tanzte funkensprühend um sie herum, das lange, brennende Mähnenhaar wie einen Vorhang hinter sich herziehend, ohne dass ein Huf es berührte. Wo es entlangglitt, schmolz der Schnee dahin und verbrannte das darunterliegende alte Wintergras.
Ein Schwert ward mir gegeben …
Der Feuerrote setzte zum Sprung an. Seine Mähne würde sie hinwegfegen. Sie spannte sich, duckte sich, als er losflog, und riss sich aus dem eisernen Griff des Mórmaer los. Der brüllte auf und stürzte ihr hinterher, ohne dass der Rote ihn daran hinderte – die apokalyptischen Reiter begleiteten nur Christina, das hatte sie bereits begriffen. Es machte ihre Furcht vor ihnen zu einer sehr einsamen Sache … Mit einem flinken Haken um die Feuerstelle herum konnte sie ihm gerade noch entwischen. Máelsnechtais wütender Schrei ließ den Wald erzittern. Sein Schwert zerteilte das Feuer – oder war es die Klinge des Roten? Glut sprang in tausend kleinen Irrlichtern durch die Luft, die Pferde scheuten, die Stute versuchte zu steigen und sich vom Seil zu befreien.
»Beth! Weg hier!«, schrie Christina und stolperte vorwärts, den Mórmaer im Nacken. So heftig sie konnte, trat sie Beth mit dem Fuß, um dann über sie hinwegzuspringen, wie es das feuerrote Pferd an ihrer Seite tat. Die Mähne loderte wie ein Feuervorhang über Beth hinweg, ohne sie zu verbrennen. Christina war ihm ein paar Schritte voraus, was ihr Zeit gab, das Seil aus dem Baum zu nesteln und sich auf den Rücken der tänzelnden Stute zu ziehen. »Komm, Beth!«, schrie sie verzweifelt. Die Gestalt des Mórmaer verdunkelte das kleine Feuer. Doch der Rote erhob sich fauchend auf die Hinterhufe und warf sein gleißendes Licht auf die hungrige Klinge. Seine Glut tropfte in das Feuer, nährte es und ließ es in Wellen so hochschäumen, dass der Platz unter dem Felsvorsprung fast taghell erleuchtet war.
Beth erwachte lallend. Sie stützte sich auf den Ellbogen, hob den anderen Arm wie eine Waffe. Doch das half ihr nicht, ihr Weg war hier zu Ende. Das Schwert des Mórmaer durchbohrte ihre Brust – dort, wo der Tod suchen geht, wenn er es besonders eilig hat. Beths Schrei endete in einem Gurgeln, welches durch ihren gesamten Körper zu wandern schien, quälend langsam, quälend lang. Ebenso langsam sank sie auf den Rücken. Das Schwert stak so fest in ihrer Brust, dass es den Händen des Mórmaer entglitt; er musste tatsächlich einen Schritt auf sie zuspringen, um seine Waffe aus dem Körper herauszuziehen. Das tat er mit wütendem Gebrüll, und weil es ihn solche Mühe kostete, trat er die Sterbende zusätzlich gegen den Kopf. Ihr Gurgeln verebbte, dann lag sie still am Feuer.
Christina erstarrte. Für den Moment erstarb jedes Geräusch um sie herum. Ihr Kopf befand sich in einer Blase, durch deren Haut nichts dringen konnte, vor allem kein Schmerz. Dann schrillte der Ton im Ohr, so laut wie niemals zuvor, und in ihrer Pein bohrte sie das Gesicht in die Mähne der kleinen Stute und fasste mit beiden Händen in die dicken Haarbüschel, als könnten diese ihr Halt geben. Auf diesen Moment schien das Pferd gewartet zu haben: Während Máelsnechtai sein Opfer in einer Mischung aus Abscheu und Erstaunen betrachtete, drehte sich das Pferd vorsichtig, trat mit ein paar kurzen Schritten um den Schotten herum und sprang dann aus dem Stand mit einem Riesensatz über das Feuer hinweg! Christina klammerte sich an seinem Hals fest, beide Hände tief in der Mähne vergraben. Nun galt es nur noch festhalten – festhalten – oben bleiben, nur nicht fallen, denn hinter dem Feuer wartete keuchend der Rote. Die Stute flog mit spitzem Wiehern einfach durch ihn hindurch. Bevor sein glühender Schweif sie erwischen konnte, hatte sie hinter ihm auf dem Boden aufgesetzt und stob nach einem Galoppsprung im Pass los, stets
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