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Die Stunde der Seherin - Historischer Roman

Die Stunde der Seherin - Historischer Roman

Titel: Die Stunde der Seherin - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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suscepit dextera tua …«
    Eine lange Weile hörte man nur das Rascheln ihrer Schritte auf dem dicken Bett von Tannennadeln und das Rauschen in den freundlich ausgebreiteten Armen der Bäume. Endlos und voller Ruhe senkte es sich auf die beiden Reisenden und hieß sie als Gäste der Nacht willkommen. Dies war auch nur eine Pause, eine unter vielen, die sie schweigend miteinander verbracht hatten. Und doch … die Nacht war mehr als eine Pause.
    Etwas hatte sich verändert seit der Nacht der Wölfe. Beinahe mit Scham erinnerte Christina sich daran, wie sie ihn einfach geküsst hatte und was seine Erwiderung in ihr ausgelöst hatte. Scheu sah sie ihn von der Seite an. Er fühlte ihren Blick sofort, drehte den Kopf weg. Wellen brachen sich an Felsen, erschütterten den Boden unter ihnen. Das hier konnte Gott nicht gutheißen.
    Sie schluckte. War es nicht egal? Sie taten doch nichts! Wie viel zählte die in Gedanken ausgeübte Sünde? Die im Traum durchlebte Lust? Die sie auf breiten Schwingen davontrug wie ein Nachtvogel und sie erst am Boden absetzte, wenn der Morgen graute? Träume wie diese hatte sie in Dunfermline schon nicht mehr gewagt, dem Priester zu beichten, weil sie zur Nacht gehörten wie das warme Gefühl unter dem Fell und die erwartungsvoll geschlossenen Augen. Und nun würde Nial, von dem ihre Träume stets gehandelt hatten, neben ihr liegen.
    Christina fürchtete sich davor einzuschlafen.
    Sie schlichen umeinander herum, ohne den anderen zu berühren. Geschah es doch aus Versehen, zuckten sie zusammen, brachten sich sofort wieder in Sicherheit, traten einen Schritt zurück. Es stand außer Frage, dass Nial sie nach seiner Verletzung sehen lassen würde, das las sie in seinem Blick. Er fürchtete sich genauso, vor ihrer Nähe, vor der Arbeit ihrer Hände, vor dem, was vielleicht passieren könnte. Und so kam zu der Furcht vor der Nacht noch die Furcht hinzu, ihn am Ende doch noch an diese Verletzung zu verlieren.
    Sie zog den Pferden Decken und Sattel vom Rücken. Die beiden müden Tiere band sie an zwei Fichten fest, wo sie zumindest von den Nadelspitzen naschen konnten – mehr gab es in der Einöde nicht. Der Sattel des Schimmels würde eine gute Rückenlehne für Nial ergeben; sie vermutete, dass er sich nicht würde hinlegen wollen, um nicht zu tief zu schlafen. Hier draußen hatte er alles eingebüßt, was an einen Mönch erinnerte. Und sie erkannte auch äußerlich immer deutlicher den Bruder des Mórmaer von Moray, der hervorragend mit Schwert und Bogen umzugehen wusste und sich in der Mönchskutte für seine Schwächen erniedrigte.
    Wie tief sie in diesen Mann eintauchen konnte. Dabei wusste sie kaum etwas von ihm. Katalin hätte das erklären können … liebste Katalin. »Nimm dich ihrer Seele an«, flüsterte sie ein kurzes Gebet, im Zweifel, ob es ausreichen würde, dass Gott sich Katalins Seele annahm. Aber es tat gut, diese Worte über die Erinnerung an Katalin zu breiten. Dann schob sie sich zwischen die stacheligen Äste der mächtigen Tannen und sammelte noch mehr Feuerholz – stumm und sich jeder seiner Bewegungen bewusst, obwohl er hinter ihr war. Dafür schämte sie sich auch, doch ihr fiel kein Gebet ein, mit dem sie sich von dem Mann hätte ablenken können, kein Gebet, das Gott für ihre Wünsche hätte versöhnen können.
    Nial war es längst gelungen, ein paar Zweige in Brand zu setzen. Die Jahre in Armut hatten ihn daran gewöhnt, wie ein Bettler unter freiem Himmel zu leben und zurechtzukommen. Der Feuerstein war sein Freund, er handhabte ihn mit Geschick und Augenmaß, und es war gut, sich auf ihn zu besinnen. Er würde sich ohnehin nur die Finger verbrennen, wenn er Christina im Blick behielt. Sie legte ihm einen Armvoll Äste hin, so dicht neben seine Beine, dass er vom Holz nehmen konnte, ohne sich drehen zu müssen. Schweigend versorgte er das aufflackernde Feuer mit Nahrung, legte die Äste so übereinander, dass es nicht zu hoch loderte und ihren Rastplatz verriet oder in die vertrockneten Tannenäste übersprang. Auch als sie ihm nachdrücklich den Sattel in den Rücken schob, schwieg er. Jedes Wort hätte den Zauber dieser scheuen Fürsorge unwiderruflich zerstört …
    Christina ging davon aus, dass er zumindest ruhen wollte, und war dankbar für seine Schweigsamkeit, die ihr alle Möglichkeiten ließ: schlafen. Nachdenken. Beten.
    Der Psalm des Mórmaer war ein ständiges Echo in ihrem Kopf, seit sie die Schotten verlassen hatten. In petram inaccessam mihi deduc

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