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Die Stunde der Seherin - Historischer Roman

Die Stunde der Seherin - Historischer Roman

Titel: Die Stunde der Seherin - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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hinter ihr zu liegen, genau wie das friedliche Leben, das sie einst geführt hatte …
    Die Ankunft der Kapuzenträger sorgte für Unruhe. Nicht jeder Kommentar klang nett, die Aussätzigen schienen ein ungehobeltes Volk zu sein. Christina hörte Flüche, aber auch Weinen, und irgendwo hechelte jemand beim Beischlaf. In der fast dunklen Hütte konnte sie jedoch nicht einmal unterscheiden, woher die einzelnen Geräusche kamen.
    Der Aussätzige mit den sanften Fingern hatte sie losgelassen und war in der Menge verschwunden, die sich umständlich aus den nassen Kutten befreite und durch die Schlafenden drängte, um freie Plätze zu ergattern – wo Kerzen kostbar waren, wusste man mit der Dunkelheit umzugehen. Nervös schaute sie sich nach Nial um, den doch zwei der Kapuzenmänner zwischen sich gehabt hatten, das hatte sie gesehen, aber er war im Gedränge am Eingang nicht zu erkennen. War er hier? Angst griff nach ihr – Angst um ihn, vor dieser unheimlichen Höhle voller Geräusche und unflätiger Worte …
    »Verfluchte Knotenfresse, pass doch auf!«, fluchte jemand.
    »Pass selber auf, der Teufel soll deinen Gestank holen! Neben dir kann doch kein normaler Mensch schlafen!«
    »Was legst du dich auch jede Nacht neben mich? Willst mir wohl an die Wäsche, jetzt, wo die Weiber dich nicht mehr wollen?« Ein heiseres Lachen erklang. »So geht es denen, die ihre Wollust nicht im Zaum halten …«
    »He, habt ihr Essen mitgebracht?«
    »Da draußen steht ein Pferd«, flüsterte ein Mann gleich neben ihr. »Ich hab es gesehen. Wir können es schlachten und hätten endlich mal was Richtiges zu beißen …«
    »Das Pferd gehört mir! Niemand schlachtet mein Pferd.« Unglaublicher Ärger drohte ihre Brust zu sprengen, niemals sonst hätte sie den Mut gehabt, ihre Stimme gegen die Stimmen der Dunkelheit zu erheben. Und als die Menschen um sie herum schwiegen, hielt sie erschrocken inne. Dann lachte einer amüsiert.
    »Wenn ich dir ein Stück von meinem verschimmelten Brot gebe, das eine mitleidige Seele vorgestern in die Almosentonne gelegt hat, denkst du vielleicht anders, Mädchen. Dann sehnst du dich auch nach was Ordentlichem, nach richtig gutem Essen, wie du es mal gekannt hast, nach triefendem Fett und Fleisch und …«
    »Schluss jetzt! Sie ist unser Gast für diese Nacht, wir werden etwas für sie finden«, blaffte der Anführer der Aussätzigen ihn an. »Der Allmächtige hört jedes deiner Worte – hat Er dich noch nicht genug gestraft für deine Völlerei? Du hättest in St. Julian bleiben und nicht dreihundert, sondern fünfhundert Paternoster am Tag sprechen sollen. Selbst das wäre zu wenig für dein loses, verfressenes Maul! Ich …«
    »Ist ja schon gut«, versuchte der Hungrige ihn zu beschwichtigen, »hätte ja sein können, dass sie uns das Pferd überlässt, immerhin stehen da zwei, und zum Reisen reicht ja wohl eines …«
    »Wir sind zwei Reisende, und wir brauchen zwei Pferde«, drang Nials Stimme aus der Dunkelheit. Erleichtert stellte sie fest, dass die Kapuzenkerle ihn am anderen Ende der Hütte abgeladen hatten, und anscheinend hatte er genau gehört, worum es ging. Seine Stimme war laut genug, das ganze Haus zu durchdringen. »Niemand wird unsere Pferde anrühren!«, donnerte er.
    Es war ein verdammter Fehler, diese Hütte betreten zu haben, diesem Lazarus zu trauen. Sollte er sich wirklich so getäuscht haben? Ob es Christina ähnlich ging? Ihre schmale Gestalt mit dem hellen Mantel hob sich von der Düsternis ab und half ihm, ihren Weg durch die Hütte und in seine Ecke zu verfolgen.
    Ihre Augen leuchteten, als sie ihn auf dem Boden erkannte und sich dicht neben ihm niederließ. Sogar den Beutel mit dem Stundenbuch zog sie von ihrem Rücken. Die Ruine der Aussätzigen war alles andere als ein sicherer Ort, aber sie schien begriffen zu haben, dass sie schlafen musste. So lag das Buch nun neben ihr, und er wusste, dass sie es wie eine Löwin gegen jeden Dieb verteidigen würde. Obwohl es sie so ängstigte und sie es mit einem Strick zusammengebunden hatte, als dürfte es sich nicht öffnen. Er wagte nicht, sie darauf anzusprechen. Seit sie am Strand des Forth getrennt worden waren, hatte sie sich verändert. Sie war größer geworden.
    Die Frau, die ihnen den äußersten Winkel zugewiesen hatte, kam nun tatsächlich mit einer Schale brennenden Torfs angeschlurft.
    »John sagt, ihr sollt nicht frieren. Viel kann ich euch nicht geben, der Winter ist noch lang. Aber daran könnt ihr euch wenigstens

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