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Die Stunde der Seherin - Historischer Roman

Die Stunde der Seherin - Historischer Roman

Titel: Die Stunde der Seherin - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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geschickt mit ihnen herum, dass die Knoten lebendig schienen und aus den Gesichtern auf sie zuwuchsen. Ihr stockte der Atem. So dicht war sie dem Gesicht der Sünde noch niemals gewesen, hatte den Geruch des Todes noch nie so nah wahrgenommen! Zum Glück blieben sie nun stehen, zum Glück …
    »Keine Angst, er wird dir folgen, Frau. Ich würde dir folgen …« Mit unerwarteter Zartheit strich Lazarus ihr mit seinem verstümmelten Daumen über die Wange. Und ohne sie noch einmal anzufassen, lud er sie ein, mit ihnen zu kommen. Es hatte etwas Anrührendes, diese formelle Geste – ein kurzes Drehen des Körpers, ein einladend ausgestreckter Arm – an diesem düsteren Ort zu erleben. Die Geste offenbarte, dass auch Lazarus ein Pilger aus einer anderen Welt war, den ein sündhafter Weg in die Arme der furchtbaren Krankheit geworfen hatte … Dennoch. Sein Geruch. Der Atem des Todes. Sie traute ihm nicht. Er war böse, hinter seiner höflich-falschen Maskerade mussten doch schlechte Absichten stecken, Sünde wuchs ja an ihm empor. Sie klammerte sich an dem Baum fest und schüttelte den Kopf. »N-nein … bitte. Habt Mitleid, bitte …«
    »Mitleid?« Der Mann drehte sich erstaunt zu ihr um. »Ist er am Ende dein Schatz?«, flüsterte er. »Ja?«
    Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Sein Blick fand den Weg zwischen den Knoten hervor, machte sich das schadenfrohe Feuer zum Freund und glitzerte gierig. »Ist er dein Schatz?«, flüsterte er erneut. »Ich war einst der Schatz einer schönen Frau. Einst …« Die Gier verschwand aus seinem Blick. Stattdessen war seine düstere Gestalt nun von trauriger Ehrlichkeit umgeben. Es war, als könnte sie ihn auf einmal verstehen – unter seiner Kapuze lugten Spuren eines anderen Lebens hervor. Ihre Furcht vor ihm versickerte. Sie spürte, wie er sie anlächelte, obwohl er nun zu verhindern wusste, dass sie in sein entstelltes Gesicht schaute. Er tat das aus höflicher Rücksicht, sie wehte ihr wie ein leiser Hauch entgegen. Auf der Lichtung war es still geworden. Nur das Feuer knackte vor sich hin, es kannte die Antwort ja schon, seit es zwei eng umschlungene Menschen bewacht hatte …
    Durfte man vor einem Wildfremden zugeben, dass man jemanden liebte? Noch einmal fragte er: »Ist er dein Schatz, für den du alles geben würdest, Mädchen?«
    »Ja«, flüsterte sie ohne Zögern. »Wir sind einen langen Weg miteinander gegangen.«
    Da nickte er, und seine grob gewebte Kapuze wackelte im Licht des erlöschenden Feuers, wie um ihn zu unterstützen. »Mein Mädchen und ich auch«, flüsterte er. Seine Schultern schienen zusammenzufallen. »Sie starb am Tag des ersten Schneesturms. Ihre Schmerzen waren zu groß, das Fieber hat sie dahingerafft, einfach so. Gott hat ihr das Fieber geschickt, bevor die Krankheit ihr Gesicht verstümmeln konnte. Vielleicht um sie zu schonen – vielleicht um meine Qual zu vergrößern, wenn ich an sie denke.«
    Christina wusste nicht, was sie dazu sagen sollte, der Kerl verwirrte sie, und sie mochte auch den Baum nicht loslassen. Die anderen wurden allmählich unruhig, sie hatten die beiden Pferde schon losgeknotet und standen aufbruchsbereit. Zu ihrer Überraschung bückte der Aussätzige sich da und wollte den culdee vom Boden hochhieven.
    Der erholte sich gerade von dem Schlag und packte den Aussätzigen wild am Mantel, auch wenn es dafür eigentlich keinen Grund mehr gab. Sie schüttelten einander und schrien sich an, dass die Äste über ihnen wackelten.
    Lazarus ließ ihn fallen und lachte dröhnend los.
    »Du bist mir ja ein scheinheiliger Kranker! Übrigens, mir fügt niemand mehr Schmerzen zu. Das ist das Gute an dieser verfluchten Pestilenz.« Er zog seine Kapuze wieder gerade. »Weißt du was – du kannst zu Fuß gehen, Mann. Wer so schreien kann, der kann auch laufen. Dein Mädchen hat darauf bestanden, dass ich dich mitschleppe, aber ich hätte dich eh nicht tragen können. Bedank dich also bei deinem Mädchen.« Der Kuttenärmel flog durch die Luft, als er auf Christina zeigte. Einen Moment später zog er sie ganz selbstverständlich vom Baum. Er drehte sich noch einmal um.
    »Nichts für ungut, Mönch, wir tun keiner Fliege was zuleide. Wir sind nur manchmal etwas empfindlich.« Er zog die Nase hoch. »Wir … wir waren es leid, als ewige Sünder gebrandmarkt zu sein, wir haben begonnen, unser eigenes Leben mit eigenen Regeln zu leben …«
    »Fühl dich nicht angegriffen«, unterbrach Nial ihn hastig. »Und nehmt mich mit – ihr sollt es

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