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Die Stunde der Seherin - Historischer Roman

Die Stunde der Seherin - Historischer Roman

Titel: Die Stunde der Seherin - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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Worten, doch das rührte ihn nicht, denn er sprach weiter, obwohl Máelsnechtais Pferd wieder in die Ruine trabte.
    »Wie es sich anfühlte, als sie von allen Seiten auf mich eintraten und ich keinen von ihnen mehr sehen konnte, wie die Welt nur noch aus tretenden Füßen und aus Schmerzen zu bestehen schien, und wie Gott es mir nicht gestattete zu sterben – davon will ich dir auch erzählen, Mädchen …« Matsch spritzte unter den Hufen des Kriegspferdes auf, kurz vor ihnen kam es schnaufend zum Stehen. Diesmal brachte der Mórmaer seine gezückte Waffe und große Entschlossenheit mit, ihr Gespräch zu beenden.
    » Hlæfdige Christina, ich bin es leid! Ihr werdet mir jetzt folgen, sonst werdet Ihr es bereuen …«
    Der Alte trat ihm mit erhobenen Händen entgegen. »Komm nur, Höllenhund, komm und hole lieber mich – das hast du dich damals nicht getraut, hast mich grausam am Leben gelassen …«
    » Hlæfweard , ich will, dass Ihr uns hier gewähren lasst«, unterbrach Christina ihn und stürzte an dem Alten vorbei. Da packte Máelsnechtai sie ohne Umschweife bei den langen Haaren, riss sie von den Füßen und versuchte sie rückwärts aus der Ruine zu schleifen. Sie schrie vor Schmerzen, doch trotz größter Anstrengung gelang es ihr nicht, sich aus dem eisernen Griff zu befreien. Die kleine Stute kam ihr schließlich zu Hilfe. Mit gebleckten Zähnen rannte sie auf das Pferd des Mórmaer zu – das stieg in Abwehr, Máelsnechtai musste Christinas Haar loslassen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, und sie prallte mit dem Rücken auf den Boden. Sein Pferd drehte sich auf der Hinterhand und galoppierte einmal um sie herum, ohne sie mit den Hufen zu treffen. Christina blieb wie betäubt liegen.
    »Ja, ja, das könnt Ihr wahrlich gut, werter Herr. Unschuldige Menschen quälen. Gott wird Euch dafür zur Rechenschaft ziehen«, hörte sie auf den Wellen der Pein die heisere Stimme des Alten.
    Nichts geschah. Niemand sprach, nur das Sattelleder knarzte. Und eines der Pferde kaute geräuschvoll. Raben krächzten durch die Dunkelheit. Im Gebüsch raschelten Mäuse, und es roch nach Moder und Pilzen. Ein hauchfeiner Sprühregen netzte Christinas Gesicht.
    Langsam kam sie zu sich, und sowie das Leben zurückkehrte, wuchs auch ihr Wille, Máelsnechtai endgültig aus dieser Kirche zu verbannen. Sie erhob sich mühsam. Sein Pferd schnaubte warnend. Mit schleppenden Schritten ging sie auf es zu. Ihr Kopf schmerzte wahnsinnig, doch das spielte keine Rolle, sie wusste, dass sie größer wurde. Jetzt war der Zeitpunkt, jetzt gab Gott ihr die Kraft – vielleicht nur jetzt und dann nicht wieder …
    » Hlæfdige …« Des Mórmaers Stimme erstarb bei ihrem Anblick. Sein Pferd wich vor ihr zurück. Christina hob die Arme, worauf es rückwärts lief. Niemand fragte mehr nach des Mórmaers Meinung. Mit beiden Händen trieb sie das Tier durch den zerstörten Kircheneingang, wo es schäumend und scharrend stehen blieb.
    »Das werdet Ihr mir büßen«, zischte der Schotte böse, unfähig, sich zu wehren oder auch nur irgendetwas zu unternehmen – ihr Bann wirkte. Christina zog den Dolch aus der Tasche, den sie seit Berwins Haus mit sich herumtrug und nicht ein einziges Mal angefasst hatte. Nun war der Moment gekommen, die Waffe einzusetzen. Der Schmerz am Kopf hatte ihr die Stimme genommen, den Willen jedoch nicht. Sie hob eine ihrer langen blonden Strähnen und durchtrennte sie auf Kinnhöhe. Dann ließ sie sie im Eingang der Kirche zu Boden fallen. Die nächste Strähne fiel daneben und noch eine und noch eine.
    Máelsnechtai schnappte nach Luft. »Lasst ab! Närrisch seid Ihr, einsperren müsste man Euch …«, flüsterte er heiser. Immer mehr Strähnen fielen, seine hungrigen Augen verfolgten jede ihrer Bewegungen, wie sie die hellen Locken umfasste, nach denen ihn so gelüstete, wie sie sie durchtrennte. Strähne für Strähne schnitt sie sich das Haar ab und baute daraus einen Schutzwall gegen ihn, so stark, wie kein Krieger ihn hätte bilden können. Jugendlich-frisch bedeckte er die alten Blätter und Kastanien … Zum Schluss warf sie den Dolch auf die schimmernde Pracht. Nie wieder würde sie eine Waffe anfassen.
    »Ich will nicht, dass Ihr diese Kirche betretet«, sagte sie leise.
    »Das werdet Ihr bereuen …«
    »Betet. Betet, hlæfweard .« Sie sah ihm geradewegs in die Augen. »Betet.«
    Er konnte sich ihrem Blick nicht entziehen. Alle Flüche, die ihm vielleicht hatten kommen wollen, erstarben ihm auf den Lippen.

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