Die Stunde der Seherin - Historischer Roman
Kreatur, kämpfte mit ausgestreckten Händen, warf den Kopf hin und her, und ihre Stimme war so tief, wie Nial sie noch niemals gehört hatte. Worte in einer teuflischen Sprache entsprangen ihrem Mund, und ihre Augen lagen wie große schwarze Flecken in dem weißen Mädchengesicht. Stolpernd drehte sie sich um die eigene Achse, die Hände weiter in Abwehr erhoben. Sie schienen etwas gepackt zu halten, das sie nun herumschleuderte, und dann riss ihr Kleid entzwei. Unsichtbare Klauen durchtrennten es von unten nach oben – entsetzt sah Nial, wie sich der Riss immer weiter nach oben schob, dann bauschte sich das Kleid auf, ein Teil des Rocks flog durch die Luft und war kurz darauf verschwunden!
»Das ist der Teufel«, flüsterte Máelsnechtai voller Entsetzen. »Wir müssen …«
Nial umarmte ihn stumm. »Ja, hier ist der Teufel, aber sie ist in Gottes Hand. Bete weiter mit mir …«
Sie hatte sich auf die Lanze geworfen und hielt sich mit beiden Händen daran fest.
Lass los!, zischte der Fahle, oder du stirbst!
»Niemals!« Er schüttelte sie mit der Lanze, doch sie ließ nicht los, und mit aller Kraft, die ihr noch geblieben war, entriss sie dem Reiter die tödliche Waffe. Ihr Schrei gellte durch die Ruine, als sie viele Schritte rückwärts taumelte, weil sich das Holz in ihre Hände brannte und der Schmerz durch ihren Körper zuckte.
» Audi ergo, et time, satana «, drang die Stimme des Mönchs durch das Rauschen. Der Sturm hatte den Weg in die Ruine gefunden und reichte dem Fahlen die Kralle, um das grausige Werk der Verwüstung zu vollenden – und die Klosterruine dem Erdboden gleichzumachen? Christina sah dicke, graue Wände erbeben, sah Moos und Erdbrocken herabfallen. » Adiuva me …«
» Satana – inimice fidei, hostis generis humani, mortis adductor, vitae raptor, justitiae declinator, malorum radix, fomes vitiorum, seductor hominum «, beschwor der Alte, und der Sturm fuhr über ihn hinweg, drückte ihn so hart an den Altar, dass sich ihm ein lautes Stöhnen entrang, doch er schaffte es, seine Hände auf dem Buch liegen zu lassen. Welches Grauen würde dem Buch entweichen, wenn er stürzte? Er durfte nicht fallen, musste stehen bleiben und die Buchseiten niederdrücken – das war das Einzige, was er für sie tun konnte. Die Lanze klebte an ihren Händen wie ein Stück Eis an Metall. Der Fahle lachte.
Das hast du nun von deinem Hochmut! Diese Waffe ist nicht für dich bestimmt … Und tänzelnd drehte Er sich auf der Stelle, um sie zu bedrohen. Da sah sie, dass niemand mehr auf seinem Rücken saß!
» Satana – inimice fidei, hostis generis humani, mortis adductor, vitae raptor«, erklang die brüchige Stimme des Alten hinter ihr.
Sie konnte die Lanze nicht fallen lassen. Der furchtbare Reiter war tatsächlich verschwunden … sie konnte ihn nicht mehr sehen. Furcht kroch in ihr Herz. Welche Teufelei ersann er als Nächstes? Sie schüttelte ihre Hände – die Waffe klebte fest, versengte ihre Knochen mit Eis, lähmte sie …
Die Tritte des Fahlen erschütterten den Boden, dass sie sich kaum auf den Füßen halten konnte. Und als er losgaloppierte und wie ein vernichtender grauer Sandsturm auf sie zukam, das sich wild schüttelnde Haupt so stolz erhoben, dass es die Steine am obersten Rand der Ruine hinwegfegte, glaubte sie, ihren Kampf verloren zu haben …
Stirb!, brüllte Er. Aus den Nüstern quoll nun blutroter, ätzender Rauch, wehte in ihre Richtung, um sie zu ersticken, dem Ganzen ein Ende zu bereiten, während die Mauern von der Wucht zu wackeln begannen.
Christina fiel auf die Knie. Die beiden Männer sahen, wie sie sich das zerfetzte Kleid vom Leib zog und wie ihr magerer Körper blau aufzuleuchten begann. Wie einen Spielball warf der Dämon sie hin und her, und doch stand sie nun auf und erhob ihre Arme.
»Proditor gentium, incitator invidiae, qui stas, et resistis, cum scias, Christum Dominum vias tuas perdere«, drang die Stimme des Mönchs durch das Brausen. Nial war das Beten vergangen. Sein Bruder hielt ihn eng umschlungen, und er war froh darum, weil er sonst vor Angst den Verstand verloren hätte. Máelsnechtai betete für sie beide und hielt ihn, hielt ihn …
Es war ganz einfach. Sie musste nicht kämpfen. Zu kämpfen war nicht ihre Aufgabe, lag nicht in ihrem Herzen. Und sowie sich der Gedanke in ihrem Kopf formte, fiel ihr die Stange aus den Händen. Sie nahm Hautstücke mit. Doch sie blieb am Boden liegen, Christina hatte ja gezahlt. Ohne nachzudenken, streifte sie
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