Die Stunde der Seherin - Historischer Roman
auch nicht. Ihr Blick war abwesend.
»Hast du mich gehört, Margaret?« Edgar beugte sich zu ihr herunter und legte seine Hand auf ihren Kopf. »Magga? Malcolm …«
»Ich habe dich gehört, Edgar.« Sie hob den Kopf und schaute ihm in die Augen. »Und ich kann dir sofort eine Antwort geben. Ich werde ihn nicht heiraten.«
In der folgenden Stille hätte jedes fallende Steinchen mehr Lärm als ein Donner verursacht. Doch nichts fiel, im Raum schien alles den Atem anzuhalten, selbst das Feuer hielt sein Knacken im Zaum. Dann endlich ein Laut, er kam von Agatha. Ein Schluchzer entrang sich ihrer Kehle, dann warf sie sich vor ihrer Tochter auf die Knie und umfasste ihr Bein. »Mädchen«, flüsterte sie, »bist du des Wahnsinns?«
»Du musst dich nicht jetzt gleich entscheiden, Magga.« Edgar hatte sich neben Margaret hingehockt. »Dafür sorge ich. Vertrau mir.« Obwohl ein gutes Stück jünger als sie, wirkte er auf einmal sehr väterlich und souverän, und die ungewohnte Anteilnahme in seiner sonst so fordernden Jungmännerstimme tat gut. Christina stahl sich auf die Bank neben ihre Schwester und fasste nach Agathas Hand. Sie war froh, mit ihnen allen beisammen zu sein, in solchen Momenten half es gegen das Gefühl der Verlorenheit, das seit der Flucht aus London an ihrer Seele fraß.
»Ich heirate ihn nicht, Edgar.« Margarets Stimme hatte alles Mädchenhafte eingebüßt. Die Zeit von Spiel und Tändelei lag hinter ihnen, das spürte Christina deutlich. Edgars abendlicher Besuch hatte eine Wende in ihrem Leben eingeläutet, sie konnte nur noch nicht erkennen, was genau sich ändern würde.
»Ich werde den Schleier nehmen, wie ich es immer vorgehabt habe.« Darauf sagte niemand mehr etwas; die Worte duldeten keine Erwiderung. Selbst bei den Männern am Feuer war Ruhe eingekehrt, dabei konnten sie doch gar nichts gehört haben. Sie hatte der König mit seiner Haltung zum Schweigen gebracht: Aufrecht saß er auf seinem Stuhl und fixierte Margaret quer durch die Halle, als könnte sie das zu einer anderen Antwort bewegen.
Edgar gab nicht auf. »Magga, ich bin erst einmal nur der Überbringer seines Wunsches. Und ich werde als dein Vormund deine Hand übergeben – wenn du dich entschieden hast. Wenn du klug bist, zögerst du nicht …«
»Ich möchte nicht mehr darüber reden, Bruder. Respektiere meinen Wunsch – du weißt, wie lange ich ihn schon hege. Meine Seele gehört Gott.« Sie faltete die Hände im Schoß. Die Unterredung war zu Ende, gegen Gott hatte nicht einmal König Malcolm von Schottland genügend Gewicht. Das spürte auch Edgar, trotz seiner Jugend. Und so erhob er sich, küsste Margaret auf die Stirn und verließ die stumme Frauenrunde.
Als er fort war, rückte Christina neben ihre Schwester. Ihr fiel nichts ein, was sie hätte sagen können. Das Ansinnen des Königs war zu unglaublich, Margarets Reaktion darauf allerdings auch – wie konnte man das Angebot eines Königs ausschlagen? Durfte man das überhaupt? Die Weiber begannen nun doch zu tuscheln. Zwei von ihnen trösteten Agatha. Christina legte den Kopf auf die Schulter ihrer Schwester, um dicht an deren Ohr sprechen zu können.
»Wir sind nichts als mittellose Flüchtlinge, Magga, wir haben nur das, was wir am Leib tragen. Wie kommt er nur auf den Gedanken, so jemanden heiraten zu wollen?«, flüsterte sie. Dass er ihre Schwester begehrte, war niemandem verborgen geblieben, aber dass er ihr mit diesem klaren Ziel den Hof machte, konnte doch nicht wahr sein!
»Wir sind keine mittellosen Flüchtlinge.« Endlich rührte Margaret sich, endlich sprach sie und löste damit den Bann des betroffenen Schweigens – endlich. Und sie tat es laut, damit jede in der Runde am Frauenfeuer es hören konnte. Vielleicht war es dieser ruhige Stolz, den Christina an ihrer Schwester immer am meisten bewundert hatte.
»Solange Edgar lebt, wird er Anspruch auf den Thron seiner Väter erheben«, sagte sie und hob Christinas zierliche Hand hoch. »In unseren Adern – in deinen wie in meinen – fließt feinstes angelsächsisches Blut, wir stammen von den großen Königen Æthelred und Edmund Eisenseite ab. Wir sind keine normalen Flüchtlinge, Stina. Der schottische König wusste das – von dem Moment an, als er uns aus dem Wasser fischte und erkannte. Er mag ein Barbar und skrupellos und alt sein – aber er ist nicht dumm. Wenn er mich zu seiner Frau macht, weiß er ganz genau, welchen Schatz er da gehoben hat.«
»Die englische Krone«, wisperte
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