Die Stunde der Seherin - Historischer Roman
Decke über die Bewusstlose zu breiten – der König und sein engster Diener rannten kopflos in der Kammer auf und ab, und keiner der Umstehenden wusste Rat. Malcolm war nur in ein halb offenes Hemd gekleidet, was ihn nicht daran hinderte, Christina mit beiden Händen in Empfang zu nehmen. »Helft ihr!«
»Was habt Ihr mit ihr gemacht?«, stieß sie hervor und sank neben Margaret auf die Knie.
»Nichts!«, erwiderte er böse und wanderte erregt um die beiden herum. »Sie fiel um, bevor ich irgendetwas tun konnte, hlæfdige Christina. Und vergesst nicht – sie ist seit heute mein Weib. Ich kann tun, was ich will – aber wieso fällt sie um, bevor ich überhaupt angefangen habe?«
Das Antlitz der Schwester fühlte sich kalt und schweißig an, der Puls am Hals ging flach und hastig. Margaret stöhnte leise. Christina schlang die Arme um sie und zog sie an sich. Tränen liefen ihr aus den Augen, netzten das Gesicht der Schwester, rannen an ihrer feinen, blassen Haut herab. »Liebste, wach auf«, flüsterte Christina, »was immer er getan hat …«
»Nichts hat er getan«, hauchte Margaret. Ganz sachte spürte sie eine kalte Hand an ihrem Gesicht. Dann rührte Margaret sich nicht mehr. Vielleicht hatte sie Angst, kam es Christina in den Sinn. So, wie der König hier auf und ab lief, wie ein hungriges Raubtier, bereit, seine Beute zu verschlingen – sie musste schreckliche Angst vor ihm gehabt haben!
»Was soll ich tun, sagt es mir, hlæfdige Christina.« Er hatte sein rastloses Umherrennen aufgegeben und war vor ihnen stehen geblieben. Endlich wagte er es, sich neben seiner Frau auf den Boden zu hocken. Sein Gesicht zeigte Tränenspuren und tiefe Betroffenheit. Und dann hob er die Hand und berührte unendlich zart Margarets Wange.
»Niemals könnte ich dir etwas zuleide tun. Niemals, meine Königin.«
Ihre Wimpern flatterten, sie schien seine Stimme erkannt zu haben. Doch die Ohnmacht gab Margaret nicht her.
Sie legten sie auf das Lager, das eigentlich für die Brautnacht vorbereitet worden war, mit frischem Linnen und fürstlich weichen Fellen, und jemand hatte ein paar Birkenzweige zwischen die Kissen gelegt, wohl gegen böse Geister. Offenbar hatten die Zweige nicht genug Kraft gehabt gegen das, was hier im Gemach geschehen war … Christina fühlte tiefe Ratlosigkeit. Die Kraft des táltos schien endgültig erloschen, sie wusste gar nicht, wo sie danach suchen sollte. Graue Leere breitete sich in ihr aus wie ein Geschwür und säte nichts als Kälte. Sie starrte auf die Schwester und fühlte nicht einmal ihre eigenen Hände. Selbst die Augen waren leer, alle Tränen lange verbrannt.
Katalin würde jetzt zu helfen wissen. Sie wischte den Gedanken an die Kranke im Nebengemach fort, hier lag die Schwester – war sie am Ende auch vergiftet worden? Ihr Blick wanderte über Malcolms Vertraute im Raum, und tatsächlich war auch Morcar unter ihnen. Dessen betroffener Gesichtsausdruck unterschied sich in keiner Weise von dem der Schotten. Wer von den hier Anwesenden kannte sich wohl mit völvuauga aus? Sie ließ nach einer Zwiebel schicken. Der König stand neben ihr, unruhig zuckten seine großen Hände über das Nachthemd.
»Hat meine Schwester einen Nachttrunk bekommen?«, wagte Christina endlich zu fragen. Er schüttelte den Kopf. »Dazu kam es nicht. Sie fiel einfach um, hlæfdige . Sie betete und fiel um.« Seine Stimme verriet, wie sehr ihn das erschüttert hatte.
Auf den Geruch der Zwiebel rührte Margaret sich, und Christina wusste zumindest, dass sie sich nicht in Lebensgefahr befand. Doch war sie sogar zu schwach, um die Hand zu heben, und so blieb ihnen nichts anderes übrig, als an ihrem Lager zu wachen und zu warten, bis sie wieder bei Kräften war. Das bestätigte auch der eilends herbeigerufene heilkundige Mönch, der sich in Fothads Gefolgschaft befunden hatte.
»Lasst mich das tun, hlæfdige Christina«, sagte Malcolm da zu ihrer größten Überraschung. »Lasst mich über sie wachen.« Er hatte sich in seinen Mantel gehüllt und setzte sich vorsichtig auf die Kante der Lagerstätte, um Margaret nicht zu bedrängen. Ein wenig ungelenk streckte er die Hand aus. Als sie unter Margarets Kopf lag, glitt ein Schimmer über sein Gesicht.
Im Hinausgehen hob Christina das goldene Stundenbuch auf, welches neben dem Schemel auf dem Boden lag. Margaret hatte wohl darin gelesen. Es wog schwer und glitt ihr fast aus den Händen. Rasch legte sie es auf die Truhe. Im Schein der Kerzen glänzte das Gold
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