Die Stunde der toten Augen
den Tropfen mit einer feierlichen Handbewegung zum Mund führte.
Als er das Glas absetzte, erkundigte sich der Mixer höflich: „Bleiben die Herren bei derselben Sorte?"
„Bei derselben ...", sagte Alf über die Schulter und stellte ihm das Glas hin. Er hatte Lust zum Trinken bekommen. Er beobachtete mit einer gewissen Freude, daß Gisela ihm immer näher gerückt war. Sie lehnte leicht an seiner Schulter, und er roch ihr Parfüm. Eigentlich wollte er diesen Leutnant von den Nachrichten los sein, aber es war schließlich gleich, mit wem man an der Bar trank. Als der Mixer begann, ihre Getränke unauffällig aufzuschreiben, weil er die Zahlen nicht mehr im Kopf behalten konnte, erklärte Alf dem Nachrichtenmann mit gehobener Stimme: „Eines Tages werde ich mit meinen Leuten heimkehren! Wir werden am Sieg keinen geringen Anteil haben! Meine Leute sind tapfer, ich habe sie dazu erzogen. Mit Härte. Und mit dieser Härte werden wir auch siegen..." Er schwieg und nahm feierlich sein Glas. Er war betrunken, und mit einem mal erinnerte er sich an das, was ihm in der Nähe der Front klargeworden war. Er wollte nicht mehr daran denken. Er hob verwirrt sein Glas. Dabei verschüttete er ein wenig von dem Inhalt. Der Mixer beobachtete es mit unbewegtem Gesicht.
„Trinken wir auf den Sieg. Er bedeutet unser Leben!" sagte er einigermaßen fest. Riebeck hob sein Glas. Er saß kerzengerade. Gisela tat ein wenig gelangweilt mit.
Der Mixer füllte die Gläser unaufgefordert wieder. Jetzt kommt der Verdienst, dachte er. Jetzt muß man an die Rechnung denken. Er schrieb bei jedem Glas, das er von nun an ausschenkte, zweimal den Preis auf das Papier unter dem Schanktisch. Auf den Sieg, dachte er. Immer drauf auf den Sieg. Das gibt einen Anzug für mich. Die Stoffe sind verflucht teuer geworden, und mit diesem Holzbein macht man sich alle paar Monate eine Hose zuschanden.
Dann beugte er sich zu Gisela und flüsterte ihr ins Ohr: „Ich empfehle Ihnen, einen Kaffee zu bestellen. Es ist welcher da. Ich gebe Salz daran, das bringt ihn wieder auf die Beine. Sie müssen ihm einreden, daß er ihn trinken muß!"
Aber Alf wurde nicht mehr nüchtern. Auch nicht, als der Mixer von irgendwoher eine Flasche Schaumwein herbeizauberte und Alf ein Getränk zusammenbraute, das aus Sekt, aus Bier und Fruchtsaft gemischt war.
„Schade", sagte er bedauernd, als die beiden Offiziere immer lauter worden, anstatt zu ernüchtern, „diese Mixtur hat schon Leuten geholfen, die das Delirium hatten, Er muß an gar nichts gewöhnt sein."
Aber Gisela konnte selbst nicht mehr genau begreifen, was der Mixer sagte. Sie tranken weiter. Abwechselnd auf Gisela, auf die Nachrichtentruppe, auf Alfs Kompanie, auf die Methode, Massentötungen vorzunehmen, und auf den Sieg.
„Das ist...", brabbelte Alf unsicher, „... unser Leben, oder auch nicht! Die einzige Chance ist, zu siegen ... ganz überraschend zu siegen ... noch dieses Jahr ..." Er fühlte nicht, daß er so viel von dem Alkohol auf die Hose geschüttet hatte, daß sie durchnäßt war. Er legte den Arm um Gisela und führ mit der Hand unter ihre Achsel. Der Nachrichtenrnann beobachtete es mit schläfrigen Augen.
„Gisela", lallte Alf, „noch eine... Woche! Dann bin ich ... nicht mehr bei dir
..."
Der Mixer brannte sich eine Zigarette an. Es war ein flauer Betrieb heute. Eine Bar, an der sich nichts weiter abspielte, als daß sich zwei Männer und eine Frau systematisch betranken, war langweilig.
„Sehen Sie diesen Mann an ...", begann Riebeck feierlich, „sehen Sie ihn an, wie er hier sitzt und Sie im Arm hält! Er kommt aus der Hölle! Und er wird wieder dort hingehen. Für Sie! Das dürfen Sie ihm nie vergessen! Mit seinem Leib schützt er Sie. Für Sie wird er den Sieg erringen! Das ist die heilige Lebensauffassung eines deutschen Soldaten ..." Er rülpste und entschuldigte sich ungeniert.
Das mit dem Sieg wird schwerhalten, dachte der Mixer. Sie sollen Osnabrück bombardiert haben. Und Schweinfurt und Darmstadt. Wird wohl nicht mehr viel davon stehen. Verdammt Zeit, daß es aufhört, sonst kommen sie womöglich auch noch hierher. „Noch einmal dasselbe?" erkundigte ersieh.
„Haben wir jemals etwas anderes getrunken als immer dasselbe?" lallte Alf ziemlich laut.
„Nein, zu Befehl!" grinste der Mixer.
„Ha..." Alf zog die Augenbrauen hoch. „Soldat gewesen?"
„Jede Menge!" grinste der Mixer.
Alf schüttelte den Kopf. „Jede Menge―, antwortet der Mensch! Und so was war Soldat!
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