Die Stunde der toten Augen
und lachte. „Nicht soviel trinken, davon bekommt man unsichere Hände..."
Der Impresario blätterte in seinem Katalog. Diesen Mann konnte er überall unterbringen. Dieser Mann war ein guter Griff.
„Wo haben Sie das gelernt?" wollte der Impresario wissen.
„Ich habe es mir selbst beigebracht", sagte Werner, „immer ein bißchen geübt. Schon als Kind. Ich hatte Spaß daran. Messer waren meine Leidenschaft. Und im Turnen war ich immer gut."
„Ich habe eine Partnerin für Sie", erklärte der Impresario, „bei der Karloff-Truppe. Auserlesenes Programm. Kommt für beste Häuser in Frage. Die Dame, die ich meine, tritt mit dem Jongleur auf. Sehr schwierige Nummer. Macht sich ausgezeichnet. Ich werde sie für morgen herbestellen. Wo übernachten Sie?"
Werner übernachtete in einer kleinen Pension. Er griff den Vorschuß des Impresarios nicht an. Er besuchte ein Kino und ging früh schlafen. Am Morgen erinnerte er sich, nichts gegessen zu haben. Er lächelte und dachte an Franziska. Blütenprinzessin mit dem Flammenhaar ...
Die Partnerin kam pünktlich. Eine üppige Blonde mit tänzelndem Gang. Wie eine gezähmte Wildkatze.
„Madame Doris ...", stellte der Impresario sie vor. Dann wandte er sich an sie und erklärte: „Der Herr ist neu in der Branche. Eins von diesen Naturtalenten, die man alle hundert Jahre einmal findet. Gehen wir in den Saal..."
Werner warf das Messer nach der Wand. Der Impresario hatte eine Frauengestalt mit Kreide auf die Bretter gezeichnet. Die Zeichnung war plump, und Madame Doris lächelte nachsichtig. Sie war die Tochter eines Schusters aus Bochum.
„Gut", sagte sie, als Werner die Messer geworfen hatte. „Was können Sie noch?"
Der Impresario griff nach einer Matte, aber Werner fiel ihm in den Arm. „Ich mache es ohne Matte!"
Sein Körper war trainiert. Er hatte all das tausendmal geübt. „Bodenakrobatik ist immer gut", meinte Madame Doris, „so als Zwischendarbietung. Uns fehlt so was. Es wird Ihre Gage erhöhen, Herr... Wie war doch gleich Ihr Name?"
Der Impresario bot wieder Kognak an, als sie im Büro saßen. Madame Doris verlangte einen neuen Vertrag.
Der Impresario nickte. Er schrieb ihn aus, während Madame Doris sich mit Werner unterhielt. Sie blickte ihn unverwandt dabei an. Ihre Augen waren etwas entzündet. Sie hatte sehr braune Fingerkuppen, obwohl sie die Zigaretten nur bis zur Hälfte rauchte. Fünf Stück in einer Stunde, Memphis, aus einer Blech Schachtel. Sie lachte. Sie schlug Werner gut gelaunt auf das Knie.
„Was wird, wenn Sie mir ein solches Messer durch die Kehle jagen, Monsieur Artist?"
Ich werde ihr keins durch die Kehle jagen, dachte Werner. Ich werde es so werfen, daß es genau einen halben Zentimeter neben der Haut im Holz steckt.
„Dann sind Sie tot", sagte er trocken. Er griff nach dem Kognakglas und hob es ihr entgegen. Der Impresario tippte, mit dem Rücken zu ihnen, auf seiner Schreibmaschine.
Madame Doris blinzelte Werner zu. „Sie scheinen gar nicht so schüchtern zu sein, wie Sie aussehen!" rief sie lachend. Sie verschluckte sich an dem Kognak und mußte husten.
„Komme gleich!" ließ sich der Impresario hören.
„Vergessen Sie nicht die Versicherung!" krächzte Madame Doris. Der Mann gab keine Antwort. Er tippte unentwegt weiter. Als der Vertrag fertig war, einigten sie sich auf den Termin, zu dem Werner mit seiner Arbeit beginnen sollte. Die Truppe beendete in zwei Wochen ihr Programm. Dann machte sie einige Zeit Pause, um das neue Programm zusammenzustellen.
„In zwei Wochen müssen Sie hier sein", sagte der Impresario. Werner nickte. Madame Doris reichte ihm lächelnd die Hand. Er verbeugte sich. Er war gut erzogen. Als er zu Hause ankam, holte er Franziska aus der Schneiderei ab und ging mit ihr in ein Kaufhaus. Er kaufte ihr von dem Vorschuß ein Kleid, einen Mantel und ein Paar Schuhe. Zwei Wochen später fuhr er ab. Sein Vater schüttelte den Kopf. Er war zu schwach, den Sohn von seinem Vorhaben zurückzuhalten. Außerdem war der Vertrag unterschrieben. Der alte Zadorowski hatte ihn mit unterschreiben müssen. Er hatte es ebenso kopfschüttelnd getan.
Madame Doris stand, von den Scheinwerfern grell angeleuchtet, an dem Brett in der Manege, und die Messer zuckten auf sie zu. Sie rührte sich nicht. Sie schloß auch nicht die Augen. .Zadorowski warf sicher. Bei ihm gab es keine Verletzungen. Die gab es eher noch bei dem Jongleur, wenn ihm bei der Probe ein Stapel Teller vom Stab rutschte.
Werner warf die Messer
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