Die Stunde der toten Augen
Er machte das sehr feierlich. Der alte Zadorowski war Steuerinspektor. Die Frau war ihm vor zwei Monaten gestorben, und nun war er mit dem Sohn allein. Es war zu weit vom Steueramt bis in die Wohnung am Stadtrand, und Zadorowski kam zum Mittagessen nicht nach Hause. Er gab dem Jungen Geld, damit er sich jeden Mittag etwas zu essen kaufen konnte. Werner kam um die Mittagszeit aus dem Gymnasium nach Hause. Dann schnitt er sich von dem Brot in der Büchse ein paar Scheiben ab, kratzte Margarine darüber und aß sie. Dazu trank er den kalten, schwarzen Kaffee vom Morgen. Das Geld behielt er. Ein halbes Jahr später hatte er genug beisammen, um ein Fahrrad zu kaufen. Er ging in das nächste Geschäft und kaufte das schönste Damenfahrrad. Er fuhr es ein paar Häuser weiter, dorthin, wo der Junge wohnte, der damals mit dem Messer auch das Bild getroffen hatte. Der Junge lernte Schlosser. Er verdiente schon Geld, und er ging ziemlich großzügig damit um.
„Paß auf, Max", sagte Werner, „ich stelle dieses Fahrrad bei dir ein. Es gehört Franziska. Wenn dich jemand fragt, gehört es dir oder deiner Schwester, und ihr borgt es Franziska."
„Ist es geklaut?" erkundigte sich der Junge.
„Nein", sagte Werner, „gekauft."
„In Ordnung", erklärte Man, „hast du eine Zigarette?"
Werner hatte eine. Sie rauchten, und Max sagte anerkennend: „Die Franziska wird ein hübsches Mädchen. Eine Brust hat sie ..."
Es wurde Mai. Sie lagen irgendwo unter rosa blühenden Bäumen in einem Wäldchen, weit von der Stadt entfernt. Die Berge erhoben sich über ihnen. Sie waren allein. Die Fahrräder lagen abseits. Es war Sonntag, sie waren hinausgefahren, um miteinander allein zu sein.
„Du wirst fortgehen, und ich werde mich einsam fühlen ohne dich ...", sagte Franziska. Sie sah aus wie eine Zwanzigjährige. Sie hatte noch immer das lange rote Haar. Es fiel über ihre Schultern. Er spielte mit diesem roten Haar, und seine Hand glitt unter ihre geöffnete Bluse. Die Haut ihrer Brüste war weiß wie frische Milch.
„Ich werde immer mal zu Hause sein", sagte er. Es klang gepreßt. Er streichelte ihre Brüste.
„Dein Vater hat gesagt, er sähe es nicht gern. Er wolle versuchen, es dir noch auszureden. Er hat es zu meiner Mutter gesagt."
Er öffnete ihre Bluse ganz und küßte ihre Haut.
„Ich werde dir schreiben", sagte er leise, „und ich werde immer mal zu Hause sein. Ich werde aus Berlin schreiben und aus Amsterdam und Paris. Aus der ganzen Welt..."
Sie streichelte sein Gesicht. Ihre Finger spielten mit seinem Haar. Sie sah seine Augen über ihrem Gesicht. Ein paar halbgeöffnete, glänzende Augen.
„Du...", sagte sie, „du darfst keine andere haben, wenn du fort bist, hörst du? Keine andere außer mir ..."
Er antwortete nicht. Er umfing ihren Körper. Dieser Körper war biegsam und heiß. Die Haut war glatt und seidenweich.
„Warte nur...", flüsterte er. „Einmal werde ich zurückkommen, und dann werde ich mein Auto vor dem Haus parken. Dann fahren wir zusammen aus. Wenn es soweit ist, werden wir heiraten, und du wirst mich immer begleiten
..."
Ihr Körper strebte dem seinen entgegen. Sie biß ihn in die Lippen, aber er spürte es nicht. Er sah ihre Augen. Bräunlich mit einem roten Schimmer.
Sie hat die seltsamsten Augen der Welt, dachte er. Sie ist schön. Wenn sie noch einige Jahre älter ist, werden die Leute ihr nachsehen. Sie wird sich gut anziehen können. Elegant.
Eine Blüte taumelte durch die Luft und blieb in ihrem Haar hängen. Blütenprinzessin, dachte er. Blütenprinzessin mit dem Flammenhaar und den brennenden Augen. Blütenprinzessin, Flammenhaar, Franziska, die Blütenprinzessin ...
„Du ...", hauchte sie, „das darf niemand wissen ... niemand! Nur wir beide. Niemand außer uns. Es ist unser Geheimnis ..." Ihre Körper lagen verschlungen auf dem Gras, und die Blüten segelten aus den Baumkronen.
„Du bist meine Blütenprinzessin ...", flüsterte er ermattet. Sie hatte feuchte Augen und sehr rote Lippen. Er küßte sie wieder. Abends, als sie heimfuhren, sagte er lachend zu ihr: „Warte nur, einmal wirst du keine Kleider mehr zu nähen brauchen und keine Mäntel. Du wirst mit mir im Auto reisen. Nach Paris, nach Rom, überallhin, wo ich bin ..."
Als er das Abitur in der Tasche hatte, fuhr er nach Berlin. Er brauchte zwei Tage, bis er einen Impresario gefunden hatte, der begriff, was aus diesem jungen Mann zu machen war. Der Impresario schenkte ihm einen Kognak ein. Werner nippte daran
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