Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Stunde der toten Augen

Die Stunde der toten Augen

Titel: Die Stunde der toten Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Thürk
Vom Netzwerk:
sagte er barsch zu Bindig. „Es ist nämlich möglich, daß ich einmal nicht in der Nähe bin. Und es wäre verdammt schade, wenn sie dich aufhängten."
    Bindig schwieg. Die Frau brachte das Essen zum Tisch. Sie teilte es aus und stellte zu jedem Teller eine kleine Schale mit Kirschen.
    „Sie sind ohne Zucker eingekocht", sagte sie entschuldigend. „Es gab keinen. Hoffentlich schmecken sie Ihnen."
    „Und Alf?" fragte Bindig. „Was sagt Alf?"
    „Er wird nichts sagen", erklärte Zado gelassen, „er weiß, daß er uns braucht, und er wird nichts sagen. Er wird froh sein, daß es so gekommen ist."
    „Beide tot", sagte Bindig. „Das ist eine Überraschung."
    ja. Beide tot, damit ein Dummkopf am Leben bleibt." Er erinnerte sich an die Frau und drehte sich nach ihr um. Sie schloß die Herdtür. Zado sagte: „Verzeihen Sie, liebe Frau, wir hatten Sie eben ganz vergessen. Sie haben keinen Zucker, sagten Sie?"
    „Nein", gab die Frau zurück, „hoffentlich schmecken die Kirschen Ihnen auch ohne Zucker."
    „Wir haben einen Küchenbullen", sagte Zado, „der hat ein paar Säcke Zucker stehen. Wir werden Ihnen davon etwas her schleppen, wenn Sie nichts dagegen haben ..."
    Die Frau wehrte ab. Sie setzte sich zu Tisch, und auch der Knecht wurde aufgefordert, sich an den Tisch zu setzen. Die
    Frau blickte die Männer an und sagte: „Ich hoffe, es schmeckt Ihnen. Vergessen Sie die beiden Toten dabei und alles andere auch."
    Zado nahm sein Besteck auf und nickte ihr zu. Sie betrachtete Bindig mit einem seltsamen, versonnenen Bück, der Zado sagte, daß diese Frau nicht so spröde und abweisend war, wie sie äußerlich erschien. Er machte sich über sein Essen, und er hörte dabei Bindig leise zu der Frau sagen: „Ich habe sehr viel Glück heute abend. Ich habe Sie kennengelernt, und nun weiß ich außerdem noch, daß mich in den nächsten Tagen nicht die Feldgendarmerie holen wird. Ich habe wirklich sehr viel Glück..."
    „Und einen zuverlässigen Freund", gab die Frau zurück.
    Zado tat, als höre er es nicht. Nach einer Weile begann er das Essen zu loben.
    Es fror wieder stark in den Nächten. Der Himmel blieb blank und voller unruhig flackernder Sterne, die spät verlöschten, weil die Nächte lang waren. Die Luft war klar und kalt. Durch diese klare, kalte Luft grollte der Lärm von der Front heran, tags und auch nachts. Die Front wurde von Tag zu Tag bewegter. Es schien, als beabsichtige sie, noch nicht in den Winterschlaf zu sinken. Sie erwachte gleichsam zu einem geräuschvollen, gefahrverheißenden Leben. Morgens, wenn noch der Dunst über den Äckern lag und das Tageslicht fahl war, weil die Sonne fehlte, kroch das Gedonner der leichten Geschütze von der Front bis nach Haselgarten. Um diese Zeit schoß die Rote Armee gezieltes Feuer. Keine gewaltigen Schläge, keine großen Kaliber, nur eine Art Störungsfeuer, das oft Stunden andauerte. Manchmal setzte es für längere Zeit aus. Dann aber, nach Minuten, manchmal nach einer halben Stunde, schob sich grollend und rumpelnd die nächste Serie Granaten heran. Die Infanteristen in den Erdlöchern hoben um diese Zeit nicht die Köpfe. Sie duckten sich und rauchten, dösten in den beginnenden Morgen. Von deutscher Seite antworteten nur selten ein paar vereinzelte Schüsse. Es war kaum leichte Artillerie vorhanden.
    Zuweilen schalteten sich ein paar Sturmgeschütze ein, die irgendwo gut gedeckt standen. Aber sonst blieb es auf deutscher Seite ruhig.
    Kurz bevor die sowjetische Artillerie zu schießen aufhörte, fingen die Zweizentimeterkanonen an zu bellen. Tagsüber und auch in der Morgendämmerung schossen sie keine Leuchtspur. Man sah nicht die wirren Linien und Kurven der sich überkreuzenden Feuerbälle, und eigentlich hörte man nur den Abschußlärm, denn die kleinen Geschosse verschwanden fast lautlos in der weichen Erde, wenn sie nicht irgendwohin, weit in die Luft pfiffen.
    Stellten die Zweizentimeterkanonen ihren Lärm ein, dann begannen fast automatisch die sowjetischen Schützen aus ihren Löchern zu schießen. Meist mit Maschinenpistolen und mehr um des Lärms willen, als um Treffer zu erreichen. Dafür war der Abstand zu groß und die Tragweite der kleinen Geschosse zu gering. Die Deutschen antworteten mit vereinzeltem Gewehrfeuer, mit Gewehrgranaten, von denen auf rätselhaften Wegen ein
    paar Kästen nach vorn gekommen waren. Sie schossen auch zuweilen einmal eine Panzerfaust ziemlich ziellos nach der Gegenseite ab und freuten sich, wenn sie

Weitere Kostenlose Bücher