Die Stunde der toten Augen
Finsternis durchsiebten. Er schilderte ihr die Salven der Stalinorgeln und das Heulen der Do-Werfer und das Geprassel der Flieger-MGs, die rasselnden Ketten der Panzer und den kurzen, trockenen Knall der Handgranaten. Die Worte flössen aus seiner Feder und formten sich zu einem Gemälde, dessen Düsternis ebenso trügerisch war wie seine grelle Prägnanz. Es war ein Brief, in dem kein Wort von Liebe sprach, und es war doch ein Liebesbrief von jener Eindringlichkeit, die das Herz der jungen Mädchen dieser Zeit bezauberte.
Paniczek saß still und trank nur ab und zu. Er schob Zado immer wieder die Zigaretten hin.
In seiner Ecke grunzte der Obergefreite: „Denen gefällt's in der Kirche ... hi... beten!"
Draußen war ganz plötzlich Sturm aufgekommen. Noch während Zado schrieb, überlegte er instinktiv, daß dieser Sturm Schnee ankündigte. Er hörte das Stöhnen vor den verhängten Fenstern und das Klappern der Hoftore. Morgen, beim Dienst, werden sie uns die weißen Tarnjacken verpassen, dachte er. Dann werden sie Farbe bringen, und es wird ein paar Stunden freigeben, damit wir die Helme und die Koppel und das andere Zeug weiß streichen. Er schrieb von Weihnachten und davon, daß es vermutlich keinen Urlaub geben würde. Und daß er keinen besonderen Wunsch habe, nur den, daß sie an ihn denken möge, wenn der Lichterbaum brennt. „Noch drei solche Briefe, und sie läßt sich ferntrauen", sagte er zu Paniczek, als er zu Ende geschrieben hatte, „sie wird das so lange lesen, bis sie dich so vor sich sieht, wie sie dich gern haben möchte, und dann wird sie überzeugt sein, daß du so bist, und sie wird zum Standesamt gehen, und du wirst deinen Topf aufsetzen und zu Alf marschieren. Händedruck, Unterschrift, zwei Zigarren, Flasche Schnaps, und du bist Ehemann, paß auf, es wird so kommen!"
Paniczek machte einen versunkenen, trübsinnigen Eindruck. Er hatte den Kopf gesenkt und hob ihn nicht. Erst als Zado ihm den langen Brief vorgelesen hatte, blickte er ihn an und sagte leise: „Das hast du sehr schön gemacht. Ich danke dir." Nach einer Weile schüttelte Paniczek traurig den Kopf und sagte: „Ich weiß nicht, ob das überhaupt geht mit dem Mädchen. Es ist eine schlimme Sache. Wenn du fällst, dann bin ich für dieses Mädchen gefallen, denn niemand wird wieder so einen Brief schreiben können. Und wenn ich falle, dann kannst du ihr so weiter schreiben wie bisher, und du kannst sie heiraten."
Zado nahm einen langen Zug aus der Flasche. Er trat seinen Zigarettenstummel aus und wandte dann Paniczek sein scharf geschnittenes Raubvogelgesicht mit der gebogenen Nase zu. „Hör zu", sagte er kalt, „du bist ein bedauernswerter Idiot. Du liegst hier in diesem Dreck, und übermorgen wirst du wieder springen, und wer weiß, ob sie dich nicht erwischen oder ob du irgendwo liegenbleibst und verreckst. Oder ob dich irgendwas anderes erwischt. Und dieses Mädchen sitzt daheim, zwischen Klubsesseln und Weingläsern und Kleiderstoffen aus Paris. Und du bist ein armes Schwein, das Krieg führt und nichts davon hat als die Möglichkeit zu krepieren. Und das Mädchen lebt in einer ganz anderen Welt. Glaubst du, sie kann sich vorstellen, was uns hier bewegt? Glaubst du, sie wird dich jemals verstehen, auch wenn sie wirklich darüber hinwegsehen sollte, daß du weder lesen noch schreiben kannst und ein armes Schwein bist? Glaubst du, daß dieses Mädchen jemals im Leben einen Menschen begreifen wird, der so viel Dreck und Eiter und Blut und Läuse und schreiende Männer und Angst und Feigheit gesehen hat wie wir? Du wirst mit ihr zusammen sein, und ihr werdet aneinander vorbeireden. Du wirst dich in dieser Welt der Klubsessel und Kleiderstoffe nicht zurechtfinden. Keiner von uns wird es jemals wieder lernen, es sei denn, er belügt sich und er denkt an gar nichts mehr, was einmal gewesen ist. Du wirst immer einer der sein, der an Blut denkt, wenn er Sekt trinkt. Du wirst an die letzte Hure denken, wenn du bei diesem Mädchen schläfst, und wenn sie klug ist, wird sie es merken. Ihre ganze lächerliche Welt mit dem Klavier und den Schulbüchern und den Pralinenschachteln wird dir vorkommen wie ein Narrenhaus, wenn du zurückdenkst. Und du wirst herumlaufen wie einer, dessen Verstand ausgehakt hat. Du wirst das große Kotzen kriegen, wenn du dich jemals wieder vor einer Dame verbeugen sollst und ihr die Hand küssen, denn du wirst den zerschossenen Unterleib der Alten sehen, die wir nach dem Fliegerangriff bei Gumbinnen
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