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Die Stunde der toten Augen

Die Stunde der toten Augen

Titel: Die Stunde der toten Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Thürk
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er. Solche Gedanken kommen, wenn man plötzlich etwas entdeckt, um dessentwillen es sich lohnt zurückzukommen. Ich glaube, das kann einen zum Feigling machen.
    Er sagte es ihr, und die Frau fragte nach einer Weile: „Warum müßt ihr nur immerzu Dinge tun, die keinen Sinn haben als höchstens den, euch zu töten?"
    Es steckte noch alles in ihm, was sie ihm in der Schule eingebleut hatten und bei den Belehrungen in der Kompanie. Die Bilder aus den Illustrierten waren noch in seinem Kopf und das Geschwätz, für das die Rundfunkleute bezahlt wurden.
    Er war lange genug mit Zado zusammen gewesen, hatte ein wenig von dessen Zynismus angenommen und sah alles etwas nackter, illusionsloser als früher. Aber Zados Zynismus hatte noch nicht viel mehr als ein paar wirre Striche auf der Karte seines Weltbildes gezogen.
    „Es ist nichts sinnlos", sprach er in die graue Dunkelheit hinein, „alles, was wir tun, hat einen Sinn. Wenn wir es nicht täten, dann würden die Russen Weihnachten in Berlin sein. Deshalb tun wir es. Es macht uns wenig Spaß, aber danach fragt uns keiner."
    „Ich weiß nicht", sagte die Frau, „ich verstehe nichts davon. Nur so viel, daß alles nicht zu sein brauchte und du morgen früh bei mir bleiben könntest." „Es wäre schön. Aber es ist eben nicht so."
    „So seid ihr", sagte sie, „Soldaten, weil es nicht anders geht. Weil ihr nicht den Mut habt, ihnen zu sagen, daß ihr keine sein wollt. Und als Ersatz für diesen Mut bildet ihr euch ein, es mache euch Spaß."
    Er überlegte eine Weile, dann sagte er leise: „Ich glaube, es gibt sehr wenige, denen es Spaß macht. Und ob du willst oder nicht: Es ist Krieg, und der wird so lange dauern, bis entweder wir oder die anderen gesiegt haben."
    „Er wird so lange dauern, wie ihn die führen, denen es eigentlich keinen Spaß macht, ihn zu führen", sagte die Frau. „Solche wie du und der andere."
    „Wenn wir die Russen nicht aufhalten..."
    „Willst du sie aufhalten?"
    Er schwieg. Die Frau wartete auf seine Antwort, aber er betrachtete nachdenklich das Bett, in dem sie lagen. Es war ein Ehebett, und die linke
    Hälfte war zugedeckt. Hier hatte ihr Mann gelegen. Sie hatte ihm gesagt, daß
    er vor zwei Jahren gefallen wäre. Sonst nichts. Er strich leicht mit der Hand
    über die Steppdecke auf dem Bett des Mannes und fragte dann unvermittelt:
    „Ist er im Osten gefallen?"
    Ihre Antwort klang abweisend. „Im Westen. In Paris."
    „Vor zwei Jahren?"
    „Ja. Vor zwei Jahren."
    „Wie kann er denn vor zwei Jahren in Paris gefallen sein?"
    Sie richtete sich ein wenig auf und sagte langsam: „Er ist überfahren
    worden. Tödlich."
    „Oh...", sagte er. „Ich hätte dich nicht daran erinnern sollen."
    Aber die Frau schüttelte den Kopf. „Es tut mir nichts. Er war schon ein paar Jahre für mich tot, bevor ihn das Auto überfuhr. Er hat mich bis aufs Blut gequält. Und dann hat ihn in Paris das Auto überfahren. Ein Lastwagen mit Wein für ein Kasino. Ich habe es von einem erfahren, der dabei war. Er lag besoffen auf der Straße, und das Auto überfuhr ihn."
    Einen Augenblick lang schwieg er bestürzt, dann fragte er sie: „Er hat dich gequält, sagst du?"
    „Ja. Ich werde es dir einmal erzählen, wenn du wiederkommst. Heute ist die Nacht nur noch kurz."
    Nach einer Weile sagte sie in die Stille hinein: „Sie schickten mir von seiner Kompanie einen schönen Brief. Mit ihrem Beileid und mit ihrem Trost. Er habe in treuer Pflichterfüllung für Führer, Volk und Vaterland sein Leben geopfert. In Paris, unter einem Auto voller Wein. Besoffen auf der Straße liegend."
    „Verzeihung", sagte Bindig nochmals, „ich wollte dich wirklich nicht daran erinnern ..."
    Aber sie lachte leise. „Laß... es schmerzt nicht. Er starb als Held!"
    Bindig sagte nichts mehr. Anna war eine von den vielen Frauen, die eine unglückliche Ehe geführt hatten. Das erklärte vieles. Man brauchte nicht weiter danach zu fragen, es gab hunderterlei Varianten solcher Ehen. Er hatte immer angenommen, daß es das nur in den Städten gäbe, aber das war offenbar Unsinn.
    Es schien, als ob der Dämmer in der Stube um einen winzigen Schein heller geworden sei. Es ging auf den Morgen zu. Bindig sah es, als er einen verstohlenen Blick auf die Uhr an seinem Handgelenk tat. Aber die Frau hatte den Blick bemerkt. Sie richtete sich ein wenig auf, bis sie ihm voll ins Gesicht blicken konnte.
    „Bist du ungeduldig? Möchtest du schon lieber wieder bei deinem Unteroffizier sein?"
    Er

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