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Die Stunde der toten Augen

Die Stunde der toten Augen

Titel: Die Stunde der toten Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Thürk
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schließlich nur eine flache Pappschachtel mit drei Präservativen aus und verstaute sie in der Kombination. Dabei sagte er zu Zado mit einem Blinzeln: „Falls wir doch mal auf die Weiber stoßen, die sich die Russen eingefangen haben ... Die freuen sich vielleicht, wenn sie für eine halbe Stunde wieder einen Landsmann im Bett haben!"
    Zado schluckte. „Du bist eben ein praktischer Mensch", sagte er. „Aber du solltest die Geburtsurkunde mitnehmen, für den Fall, daß du eine findest, die du gleich heiraten möchtest."
    Soldbuch..., überlegte der Obergefreite. Er nahm Zado ernst.
    „Soldbuch ginge auch. Aber das müssen wir ja abgeben . .." Er machte einen betrübten Eindruck, und Bindig holte tief Luft, während er dem Wortwechsel zuhörte.
    „Vielleicht geht's auch mit der Erkennungsmarke", meinte Zado.
    Da knallte Bindig wütend seine Mütze auf den roh zusammengezimmerten Tisch. „Verflucht, hat's nun was zu essen gegeben oder nicht?"
    Zado blieb ein paar Sekunden still auf seinem Strohsack hocken, den Löffel voll Marmelade unbewegt in der Hand. Dabei überzog sich sein Gesicht langsam mit einem breiten, gemütlichen Grinsen, und um seine Adlernase bildeten sich unzählige Falten. Schließlich steckte er den Löffel in die Büchse zurück und erhob sich. Dabei sagte er: „Zuerst die Straßenbahn verpassen und dann die anderen anscheißen. Hat dir denn die Anna nichts zu essen gegeben?"
    „Woher weißt du, daß ich bei Anna war?"
    „Von wem wußte denn Timm das?"
    „Von mir."
    „Aha", grunzte Zado, „und ich weiß es von ihm. Aber außerdem habe ich es dir angesehen. Hast du wirklich Hunger?"
    „Ja", sagte Bindig. „Ich ..."
    Zado ging nach der Kiste, in der sie die Verpflegung aufbewahrten. Der Obergefreite sagte erst jetzt verschlafen zu Bindig: „Brüll doch nicht so!"
    Zado brachte ein Brot und eine Büchse Butter zum Vorschein. Weiter holte er eine Büchse Marmelade hervor, eine vierkantige, harte Wurst und ein Päckchen Kekse.
    „Eigentlich sollen wir das mitnehmen", sagte er dabei, „es gibt nichts zu Mittag. Die Zigaretten und die Schokolade liegen unter deiner Kombi."
    Bindig fröstelte, während er sich umzog. Die neue Wäsche war feucht. Es war schlappes, grünes Zeug, angeblich mit einer Tinktur gegen Läuse behandelt. Aber man wußte, daß sich die Läuse sehr gern darin aufhielten. Während er in der Unterwäsche dastand, bestrich er mechanisch ein Stück Brot mit Butter und biß von der Wurst ab. Er hörte Zado sprechen, aber er folgte seinen Worten nicht, denn das Gesicht Annas war ihm noch zu gegenwärtig. Er erinnerte sich an jede ihrer Bewegungen und an jeden Laut, den sie in der vergangenen Nacht von sich gegeben hatte. Es schien ihm, als sähe sie ihn fortwährend mit ihren großen, schimmernden Augen an, und dann hatte er das unbändige Verlangen, seine Hände zu öffnen und ihren vollen, weichen Körper zu umfassen.
    Anna, dachte er, sie müßten mit dem ganzen Unsinn Schluß machen und mich nach Hause schicken. Dann würde ich sie mitnehmen. Aus mir wird kein Bauer, aber sie würde sich in der Stadt wohl fühlen. Ich würde eine Frau haben und vielleicht langsam alles vergessen. Aber es sieht nicht danach aus. Und überhaupt: Timm hat gesagt, wie haben einen dicken Hund zu schlachten. Wer weiß, ob ich das mit heiler Haut überstehe. Und wenn, dann fängt bei der Rückkehr schon wieder die Überlegung an, wie es beim nächstenmal ausgeht.
    „Junge, Junge ...", hörte er Zado sagen, „wenn ich aus dieser ganzen Marmelade einen schönen Haufen mache, kann ein T 34 bis an den Turm drin versinken ,..'
    Nebenan zerriß plötzlich die Salve einer Maschinenpistole die Stille. Der Obergefreite reagierte nicht darauf, und auch Zado quetschte nach einer Weile zwischen den von der Marmelade verklebten Zähnen hervor: „Wohl einer übergeschnappt ... was?' Doch dann war Stimmengewirr auf der Straße, und eilige Schritte stapften durch den niedrigen Schnee.
    Bindig konnte schnell noch die Schuhe zuschnüren und den Rock überwerfen. Dann hörte er Timm auf der Straße irgendeinen Befehl schreien und lief hinaus. Vor dem Nebenhaus standen ein paar Soldaten. Er fragte sie, was geschehen sei, aber sie deuteten nur mit einer Kopfbewegung nach dem Haus, ihn gleichsam auffordernd, selbst nachzusehen.
    Es hielt ihn niemand auf. Auch Zado nicht, der hinter ihm war. Timm stand neben Alf in der Stube. Hinter ihnen, mit wütendem Gesicht, leise vor sich hin schimpfend, Paniczek, der das

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