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Die Stunde der toten Augen

Die Stunde der toten Augen

Titel: Die Stunde der toten Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Thürk
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antwortete nicht.
    „Es wäre möglich...", sagte sie leise, „dann werde ich dich nicht halten."
    „Hör zu ...", bat er sie nach einer Weile, „ich glaube, du bist der einzige Mensch, der mich halten kann. Du bist das einzige, was mich interessiert. Ich kann mich nicht erinnern, daß es das oft gegeben hat..."
    Sie ließ die Finger über die Adern an seinem Hals gleiten. Er spürte die leise Berührung, und er sah dabei ihr Gesicht, und es erregte ihn. Ihre Augen waren dunkel und glänzend, und das aufgelöste Haar bedeckte in langen, gewundenen Strähnen ihre vollen, weißschimmernden Brüste. Seine Augen tasteten die weichen Linien ihres Körpers ab. Er fand sie schön und kraftvoll, verlockend und mütterlich zugleich. Alles an ihr war wie aus einer Form gegossen. Das Gesicht und die Linie des Halses, die Brüste und die Muskeln an ihren Oberarmen, die Rundungen ihrer Hüften, ja überhaupt alles, gleich, ob es der Klang ihrer Stimme oder die Bewegungen ihrer Glieder waren, das Lächeln um ihre Mundwinkel oder das Spiel ihrer Finger, wenn sie ihm das Haar zurückstrich.
    „Ich weiß es nicht genau, ob ich mich wirklich in dich verliebt habe", sagte die Frau ganz nahe an seinem Ohr. „Ich glaube es, aber ich weiß es nicht genau. Die Zeit wird das beweisen ..."
    „Die Zeit...", sagte er und griff nach ihr, „die Zeit und du, das paßt nicht zusammen. Die Zeit bin ich. Und ich bin heute zum letztenmal bei dir. Wer weiß, für wie lange."
    „Zum erstenmal...", hörte er die Frau flüstern, „und es geschieht dir nichts
    ..."
    Es war eine Phrase, obwohl sie in diesem Augenblick nichts sehnlicher wünschte als das, was diese abgedroschene Phrase ausdrücken sollte. Aber sie sprach nicht zu Ende. Sie spürte seinen Mund und seinen Körper. Sie spürte seine Hände und seinen Atem. Hinter dem Schleier aus fallendem Schnee vor dem Fenster begannen die Sterne zu tanzen.
    Sie flackerten auf und verloschen, zogen glitzernde Kurven und verwirrende Bahnen. Es war, als sei der ganze Himmel in Bewegung geraten, als tanzten die Gestirne ungezügelt und wild plötzlich den sinnverwirrenden Rhythmus, den ein Mensch nur selten, meist in ganz jungen Jahren wahrnimmt.
    Sie dachte: Es ist Irrsinn, kein Stern ist zu sehen! Es schneit, und der Himmel hängt voller Schneewolken. Aber der Tanz der Gestirne nahm kein Ende. Und dann schmolz alles, was um sie und ihn herum war, zusammen und begrub sie, das Bett und das Zimmer, das Haus und das ganze Gehöft und die eingeschneite Erde, die ganz leise bebte. Ein paar Kilometer östlich hatte eine Batterie früher zu schießen begonnen als sonst.
    Als er sich am Morgen bei Timm zurückmeldete, empfing der ihn mit dem sachlichen Hinweis: „Laß dir vom Sani eine Protargolspritze geben."
    Das Gesicht Bindigs mußte keinen sehr zustimmenden Eindruck gemacht haben, denn Timm riet ihm: „Na klar, und nimm dir gleich eine Rolle von den roten Tabletten mit. Oder willst du mir erzählen, daß du die ganze Nacht Gewehr über vorm Hoftor gestanden hast?"
    „Nein", gab Bindig gereizt zurück, „ich habe mit dem Taubstummen Domino gespielt."
    „Hoffentlich nicht zu oft hintereinander" grinste Timm gemütlich. Dann erklärte er einigermaßen ernst: „Ich glaube, wir müssen diesmal einen dicken Hund schlachten. Der Chef fährt mit zur Übung. Und fünfzehn Mann."
    „Fünfzehn Mann ...", wiederholte Bindig gedankenlos. Er dachte an Anna. Er hätte Timm ins Gesicht spucken mögen. Aber er kannte Timm und wußte, daß es keinen Sinn hatte, sich gegen ihn aufzulehnen. Timm befehligte diese Kompanie. Und wer von Timm in die Hölle geschickt wurde, der kam nicht zurück.
    Als Timm ihm sagte, daß der Wagen sie in einer Stunde nach dem Übungsgelände fahren würde, fiel Bindig ein, daß er seine Ausrüstung noch nicht gepackt hatte.
    Er beendete sein Gespräch mit dem Unteroffizier und lief in sein Quartier, wo er Zado antraf, der damit beschäftigt war, eine Büchse Marmelade auszulöffeln.
    „He ...", murmelte Zado mit vollem Munde, „ich dachte schon, du wolltest mit der Straßenbahn nachkommen!"
    „Eigentlich wollte ich das auch", sagte Bindig, „aber mein Fahrschein war abgelaufen. Hat es was zum Frühstück gegeben?"
    In seiner Ecke kauerte der Obergefreite, der an diesem Morgen nüchtern war. Er hatte ein mißmutiges Gesicht und leerte den Inhalt seiner Taschen auf seine Lagerstatt. Aus dem Häufchen von Briefen, Fotografien, Geld, Bleistiftstummeln und anderem Kram wählte er

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