Die Stunde der Wahrheit
Ihre Erheiterung vertiefte sich, als Nacoya, die niemals um Worte verlegen war, nur lautlos wie ein Fisch den Mund auf und zu machte.
Arakasi antwortete als erster; galant verbeugte er sich vor der betagten Frau. »Die Beförderung und die Ehre entsprechen Euren Jahren, alte Mutter.«
Lujan gab einen seiner verwegenen Kommentare zum besten, doch Papewaio hatte Nacoya gekannt, seit er ein kleiner Junge gewesen war, und er erinnerte sich noch sehr gut an ihre Güte. In absoluter Vernachlässigung des Anstands hob er die alte Frau hoch und wirbelte sie im Kreis durch die Luft.
»Nun geht und feiert«, rief Mara über die verwirrten Freudenschreie ihrer früheren Amme hinweg. »Niemals hat jemand aus der Dienerschaft der Acoma eine Beförderung mehr verdient als du.«
»Ich werde diese Erfahrung erst einmal verarbeiten müssen«, meinte Nacoya atemlos. Papewaio ließ sie herunter, vorsichtig, als wäre sie aus dem Glas, das die Cho-ja anfertigten; und als Keyoke, Arakasi, Jican und ein lachender Lujan sich um die Erste Beraterin drängten und sie umarmten, erkannte
Mara, daß sie in diesem Haus solche Freude seit dem Tod ihres Vaters nicht mehr gesehen hatte. Lashima, gib mir die Weisheit, damit sie von Dauer ist, betete sie; denn die Bedrohung durch die Minwanabi war noch nicht beendet, sondern nur zunächst durch eine unsichere Allianz zurückgedrängt.
Die traditionelle Trauerphase ging ihrem Ende zu, und die Priester Turakamus kamen, um das rote Schilf zu verbrennen, das seit drei Wochen in den Körben vor den Türen lag. Rauch hing noch immer über den Feldern der Acoma, als der erste Ehemakler eintraf, und innerhalb eines Tages lagen drei schmuckvoll geschriebene, mit Wachssiegeln versehene Petitionen in Maras Arbeitszimmer. Froh darüber, endlich eine andere Farbe als Rot tragen zu können, rief sie Nacoya und Arakasi herbei und besah sich das erste Pergament. Ein nachdenklicher Ausdruck trat auf ihr Gesicht. »Es scheint, daß der Lieblingshund unseres Freundes Minwanabi einen unverheirateten Sohn besitzt. Was wißt Ihr von ihm?«
Arakasi, der neben ihr saß, nahm das Dokument entgegen. Das Pergament war parfümiert, und der Geruch kämpfte gegen den der Akasi-Blüten hinter dem Fensterladen. »Bruli von den Kehotara. Sein Vater, Mekasi, versuchte zweimal ihn zu verheiraten, doch beide Angebote schlugen fehl. Jetzt dient der Junge in der Armee seines Vaters als Patrouillenführer, wenn er auch offensichtlich nicht gerade ein brillanter Taktiker ist. Seit er das Kommando übernommen hat, hat seine Gruppe nicht mehr als die üblichen Pflichten der Garnison ausgeführt.« Der Supai tippte mit dem Finger auf das Pergament, und ein schwaches Lächeln huschte über sein Gesicht. »Ich würde ihn aber nicht als dumm abstempeln. Wir können sicher sein, daß seine Werbung nur dazu dient, in seiner Gefolgschaft einen Spion der Minwanabi oder sogar einen Attentäter einzuschleusen.«
Mara nahm das Pergament wieder an sich und kaute mit den Zähnen auf der Unterlippe. Wenn sie das Angebot von Bruli von den Kehotara gar nicht erst anhörte, würde es als öffentliches Eingeständnis von Schwäche gewertet werden. »Sie wollen mich entweder bloßstellen oder töten«, sagte sie, doch von dem üblen Gefühl der Furcht in ihrem Herzen war in ihrer Stimme nichts zu hören. »Ich schlage vor, wir nehmen den Köder und hungern ihn aus.«
Ein wenig schüchtern in ihrer Rolle als Erste Beraterin enthielt sich Nacoya eines Kommentars. Doch Arakasi meldete sich zu Wort: »Das könnte gefährlich werden, Mistress. Brulis Vater, Mekasi, ist ein Spieler, und zwar kein guter. Er hat genug verloren, so daß seine Besitztümer schwer belastet sind. Sein Sohn ist ein eitler Junge, der darauf besteht, daß alles, was er trägt, vom Feinsten ist, und seine zwei älteren Schwestern und der ältere Bruder sind ähnlich. Ihre Ausgaben türmen den Schuldenberg immer höher und haben den Vater beinahe in den Ruin getrieben. Die Minwanabi beglichen die Rechnungen, doch nicht aus reiner Wohltätigkeit. Was Mekasi von den Kehotara wirklich gefährlich macht, ist die Bindung der Familientradition an den alten Kodex von Tan-jin-qu.«
Maras Hand schloß sich fester um das Pergament, denn sie war sich dieses Details nicht bewußt gewesen. Der Kodex von Tan-jin-qu – der Name war altes Tsuram und bedeutete ›lebenslang‹ oder ›bis zum Tod‹ – besagte, daß Mekasi die Kehotara in einer alten Form des Vasallentums an die Minwanabi gebunden
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