Die Stunde der Zeitreisenden: Hourglass 1
daran zweifelst«, sagte ich und war plötzlich ohne Grund wütend auf ihn. Als wir den Wagen erreichten, lehnte ich mich an die Fahrertür und wappnete mich für einen Streit. »Ich kann meine eigenen Entscheidungen treffen, verstehst du?«
»Sicher kannst du das.« Er trommelte mit den Fingern aufs Autodach. »Aber deshalb bin ich dir nicht gefolgt. Ich wollte dich fragen … äh … welche Erfahrungen du mit Jungs hast.«
Ich ließ den Schlüsselbund fallen und sah ihn ungläubig an. »Was? «
Er schaute zu Boden und suchte nach den richtigen Worten. »Ich … ähm … ich meine nicht … im körperlichen Sinn …«
Nie im Leben würde ich ihm gestehen, dass unser kleines Intermezzo auf der Veranda bislang meine einzige Erfahrung war, die ansatzweise mit Rummachen vergleichbar war. Und für die Katastrophen beim Flaschendrehen würde er sich ganz bestimmt nicht interessieren. Wieso sollte ihn mein Liebesleben überhaupt etwas angehen? Ich hob meinen Schlüsselbund auf und hätte ihn am liebsten als Schlagring benutzt. »Was soll das jetzt eigentlich?«
»Ich wollte nur sagen … Ich weiß, Kaleb hat auf Mädchen eine große Anziehungskraft.« Michael sprach das Wort aus, als ob er einen schlechten Geschmack im Mund hätte. »Auch wenn wir ständig streiten, ist es mein bester Freund, aber …«
»Aber was?«, hakte ich nach.
»Er ist sehr … Wenn es um Mädchen geht … Er hat einige blöde …« Er trat einen Schritt zurück und schob die Hände in die Taschen. »Vergiss es. Ich hab kein Recht, dir zu sagen, mit wem du dich treffen sollst und mit wem nicht. Tut mir leid.«
»Ich treffe mich mit niemandem. Ich weiß nicht, was du gesehen hast, aber wir haben uns nur unterhalten.« Einerseits freute es mich, dass ihm an mir lag, andererseits war ich stinksauer, dass er sich in meine Angelegenheiten mischte. »Kaleb und ich haben viel gemeinsam. Wir haben uns unterhalten. Das war alles.«
»Ich verstehe. Aber … Kaleb benutzt nicht immer sein Gehirn, wenn’s um Mädchen geht.«
»Welcher Junge in seinem Alter tut das schon?« Eigentlich hatte ich gedacht, dass Jungs einen ganz anderen Teil des männlichen Körpers nutzten. Ich fragte mich, wie dieser Tag so vollkommen aus dem Ruder laufen konnte. Zuerst der Streit mit meinem Bruder, dann Kaleb in seinem total betrunkenen Zustand, dann das Gespräch mit Cat über unsere Zeitreisepläne und schließlich diese Diskussion über mein nicht existierendes Sexleben.
Mann, war ich müde.
Michael starrte mich an. »Ich will doch nur sagen, dass er ziemlich wahllos irgendwelche Mädchen abschleppt. Ich möchte nicht, dass er dir wehtut.«
Mit einem Mal bekam ich derart bohrende Kopfschmerzen, als würde mir jeden Moment der Schädel platzen und das Hirn rausquellen. »Na gut, ich denk dran, wenn ich mich von Kaleb abschleppen lasse.«
»O nein, warte … Du hast mich falsch verstanden. Emerson, warte!«
Ohne ein weiteres Wort stieg ich ins Auto und knallte die Tür zu. Ich betätigte die Zentralverriegelung und ließ den Motor an. Das Letzte, das ich sah, als ich vom Parkplatz fuhr, war sein entsetzter Gesichtsausdruck.
35. KAPITEL
D er Schmerz in meinem Kopf ließ meinen Magen rebellieren. Ich wollte nur noch ins Bett. Und völlige Dunkelheit.
Und Schokolade.
Ich schleppte mich die Treppe hoch, schloss die Tür auf und fand eine leere Wohnung vor. Gott sei Dank. Ich schnappte mir eine Flasche Wasser, Schmerztabletten und einen Schokoriegel aus Drus Notreserve. Es war kurz vor acht. Nicht zu früh, um ins Bett zu gehen.
Wenn man sieben Jahre alt war.
Es kümmerte mich nicht. Ich war so dankbar, dass ich keinen weiteren Streit mit meinem Bruder auf die Liste der heutigen Katastrophen schreiben musste. Ich legte Drus Schlüssel auf die Anrichte, daneben eine Nachricht, dass ich vollkommen erschöpft und schon zu Bett gegangen sei. Zum Trost duschte ich zunächst ausgiebig, zog saubere Unterwäsche an und eins von Thomas’ total verwaschenen alten T-Shirts.
Nachdem ich meine Fenster und Fensterläden geschlossen hatte, ließ ich mich ins Bett fallen. Michael sollte keine Chance bekommen, mir ein Gespräch unter vier Augen aufzuzwingen. Ich schaltete das Licht aus, zog mir die Decke über den Kopf und schloss die Augen, in der Hoffnung auf traumlosen, erholsamen Schlaf, der jedoch nicht kommen wollte.
Frustriert drehte ich mich auf den Bauch und vergrub das Gesicht im Kopfkissen. Wenn ich meine Gedanken einen nach dem anderen analysierte,
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