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Die Stunde der Zikaden

Die Stunde der Zikaden

Titel: Die Stunde der Zikaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Mayall
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Meeresforscherin nicht versäumen.»
    «Pass nur auf, dass sie dir nicht auf die Schliche kommen. Weder Domenica noch Enrico sind auf den Kopf gefallen. Lass dich nicht reinlegen!» Er schnupperte an ihrem Hals. «Neues Parfüm?»
    «Nur ein bisschen Rosenöl.»
    «Enrico wird entzückt sein und dir den Hof machen.»
    «Ich werde es genießen. Mir hat noch nie ein Conte den Hof gemacht. Bisher habe ich es nur zum Commissario gebracht.» Sie biss ihn zart in die Wange.
    «Nicht beißen! Domenica beißt!»
    «Ach, war sie mal deine Geliebte?»
    «Nein, das heißt beinahe, aber sie hatte wohl zu viele Vampirfilme gesehen, deshalb wurde nichts aus ihrem Angriff auf meine Tugend.»
    «Das wird ja immer interessanter. Lass uns fahren!»
    Guerrini griff nach der Flasche Brunello und betrachtete sie bedauernd. «Eigentlich ist dieser Wein zu schade für Enrico und Domenica. Aber ich will ihnen keine Gelegenheit für ironische Bemerkungen geben.»
    «Da sitzen viele Stacheln in deinem Herzen, wie?»
    Guerrini steckte die Flasche in eine rote Tragetüte, die vom gemeinsamen Weinkauf in Portotrusco stammte, drehte sich plötzlich zu Laura um, kniff die Augen zusammen und legte den Kopf leicht in den Nacken. Auf sie herabblickend näselte er: «Danke für den Wein, Signora. Das ist sehr aufmerksam. Ich werde ihn der Köchin geben. Luigi, hier, die Flasche. Für die Küche!»
    Er schüttelte sich und legte beide Arme um Laura.
    «So haben die mit meiner Mutter geredet, als sie mal einen nicht ganz so teuren Wein mitgebracht hat. Ich hab danebengestanden und mich geschämt: für den Wein und für meine Mutter. Gleichzeitig hab ich die Colaltos gehasst, weil sie uns so demütigen.»
    Laura löste sich aus seiner Umarmung, zog den edlen Brunello wieder aus der roten Tasche und steckte stattdessen einen Merlot di Scansano, Denominazione origine controllata , mit silberner Auszeichnung für zwölf Euro fünfzig hinein.
    «Vergangenheitsbewältigung, erster Akt! Den Brunello trinken wir selber! Du wirst doch nicht im Ernst dieses Spiel weiterspielen, nur um bella figura zu machen?»
    Guerrini sah sie eine Sekunde lang verwirrt an, dann lächelte er verlegen.
    «Du musst mich für einen Trottel halten, Laura.»
    «Nein.» Dabei beließ sie es.
     
    Schwarze Zypressenwände links und rechts der schmalen ungeteerten Straße, dazwischen Olivenbäumchen, die im Scheinwerferlicht des Lancia silbrig glänzten. Die letzten zweihundert Meter zum Anwesen der Conti Colalto führten steil zur Kuppe eines Hügels hinauf. Laura erinnerte sich an das Tal, in dessen Mitte dieser Hügel aufragte. Auf der Fahrt von Siena nach Portotrusco waren sie durch dieses Tal gekommen. Es teilte das Küstengebirge. Große Weinfelder lagen hier, Olivenhaine, Obstgärten. Auf mit Steineichen bestandenen Wiesen liefen schwarzbehaarte Schweine herum. Schafe weideten zwischen weißen Chianina-Rindern. Guerrini hatte gemurmelt, dass dies alles zum größten Teil dem alten Geschäftsfreund seines Vaters gehörte und jetzt seinen Erben. Mehr nicht.
    Laura hatte das Tal gemocht. Trotz der ziemlich großen Felder schien es die Lebendigkeit der toskanischen Landwirtschaft bewahrt zu haben. Es gab keine Monokultur, sondern ein buntes Mosaik von Bäumen, Weiden und Feldern. Jetzt war nichts davon zu sehen. Einmal die Augen eines kleinen Tiers, zwei leuchtende Punkte zwischen den Stämmen. Oben auf dem Hügel öffnete sich eine halbrunde Auffahrt vor einem großen Herrenhaus. Kies knirschte unter den Reifen, und Guerrini brachte den Wagen vor einer barock geschwungenen Außentreppe zum Stehen. Wenige Laternen schickten sanftes Licht über die Stufen.
    «Lass dich nicht provozieren!» Guerrini legte seine Hand auf Lauras Arm.
    «Welch merkwürdige Situation, Angelo! Wir sind doch beide gewöhnt, mit ganz anderen Leuten fertigzuwerden. Warum scheint es hier so schwierig?»
    «Weil es ein Familienproblem ist!» Er lächelte ihr aufmunternd zu. «Und kein Wort über Orecchio oder seine Mutter!»
    «Was ist mit den Schweizern? Darf ich die Schweizer erwähnen? Ich meine, über irgendwas müssen wir schließlich reden, oder?»
    «Die Schweizer schon. Schließlich haben die uns eingeladen.»
    Langsam stiegen sie aus dem Wagen. Irgendwo in den vielen Seitenhöfen der großen Gebäude bellten Hunde. Es war kühl auf dem Hügel, Laura zog das große blaue Wolltuch um sich. Sicher würde es Nebel geben.
    Niemand erwartete sie am Ende der Treppe. Erst als sie vor den weiten Glastüren

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