Die Stunde des Jägers - EXOCET
weißen Vorhänge, die sich in dem zum offenen Fenster hereinkommenden Luftzug leicht bauschten, und fühlte sich zufrieden, wunschlos glücklich wie seit Jahren nicht mehr.
Auf dem kleinen Nachttisch stand ein Kassettenrecorder. Sie schaltete ihn ein, und Ella Fitzgeralds einzigartige, rauchige und gleichzeitig samtene Stimme sang »Öur Love ist Here to
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Stay«.
»Nur für dich«, sagte sie.
»Sehr zuvorkommend«, erwiderte er.
Er küßte sie auf die Stirn. Sie stöhnte leise und unendlich befriedigt, drückte ihren Bauch an seinen Schenkel und seufzte. »Es war herrlich. Könnten wir es irgendwann noch mal machen?«
»Würdest du mir vielleicht Zeit lassen, wieder zu Atem zu kommen?«
Sie lächelte und streichelte seinen Bauch. »Der arme alte Mann. Hört ihn euch an. Rück ein bißchen weiter. Ich möchte dich richtig sehen.«
Sie lagen einen Meter auseinander, die Köpfe auf demselben Kissen, und ihre weitgeöffneten grünen Augen betrachteten ihn so intensiv, als wolle sie sich den Anblick für immer tief ins Gedächtnis einprägen.
»Die Narbe«, sagte sie. »Erzähl mir, wie es war.«
Er zuckte mit den Schultern. »Ich bin im nigerianischen Bü rgerkrieg von Fernando Poo nach Port Harcourt geflogen.
Wir flogen gewöhnlich nachts. Meist Dakotas. Sie brauchten dringend Medikamente und medizinische Instrumente. Es regnete in Strömen, ein richtiges Unwetter. Mir war ein russischer MiG-Jäger im Nacken. Ägyptischer Pilot, wie ich später herausfand. Er fing an, auf mich zu ballern, so einfach war es. Nach ein paar Sekunden waren die anderen drei Besatzungsmitglieder tot oder starben. Und ich hab das da abbekommen.« Er zeigte auf die Narbe.
»Was hast du getan?«
»Bin auf fünfhundert Fuß runtergegangen. Als er wieder da war, hab ich die Landeklappen ausgestellt. Bin praktisch mitten in der Luft stehengeblieben. Um ein Haar wäre ich abgeschmiert.«
»Und die MiG?«
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»Hatte keinen Platz mehr, um weiter zu agieren. Sauste über mich hinweg und bohrte sich geradewegs in den Dschungel.«
»Schlaues Kerlchen.«
Sie fuhr mit dem Finger seine Lippen entlang. Er sagte schläfrig: »Ich möchte ehrlich zu dir sein, kannst du das verstehen? Ich habe noch nie so gefühlt. Ich möchte alles geben, was ich habe.«
Sie empfand einen stechenden Schmerz und verfluchte ihr Doppelspiel, und doch brachte sie es fertig zu lächeln. »Keine Sorge. Schlaf jetzt. Wir haben noch den ganzen Tag für uns.«
»Nein«, sagte er, »wir haben den Rest unseres Lebens.« Er lächelte. »Ich habe Städte bei Nacht schon immer geliebt. Das Gefühl, daß etwas Unbekanntes auf einen wartet. Wenn ich als junger Mann nachts in Paris, London oder Buenos Aires spazierenging, war immer ein Zauber in der Luft, etwas, das mir Kraft gab. Und ich bildete mir ein, mir stünde an der nächsten Ecke irgend etwas Wunderbares bevor.«
»Was versuchst du zu sagen?«
»Fünfundvierzig«, antwortete er. »Im Juli sechsundvierzig. Es hat lange gedauert, bis du endlich kamst. Gott sei Dank, daß du es geschafft hast. Ich hab noch gar nicht nach deinem Tierkreiszeichen gefragt.«
»Steinbock.« Ihre Arme waren nun um ihn, ihre Lippen lagen auf seiner Stirn.
»Löwe und Steinbock«, murmelte er. »Eine unmögliche Kombination. Hoffnungslos.«
»Glaubst du das wirklich?« Sie küßte ihn, und einen Augenblick darauf war er eingeschlafen.
Sie stand am Fenster, schaute zum Park hinunter und dachte über ihn nach, als im Wohnzimmer plötzlich das Telefon schrillte. Sie lief hin und nahm ab.
Ferguson sagte: »Ah, da sind Sie ja. Haben Sie etwas für uns?«
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»Nichts«, sagte sie.
»Ist er gerade bei Ihnen?«
Sie holte tief Luft. »Ja, er schläft nebenan.«
»Es scheint etwas im Busch zu sein«, sagte er. »Alles weist auf eine Invasion dort unten hin. Sind Sie sicher, daß er in London bleibt?«
»Ja«, sagte sie. »Absolut sicher.«
»Sehr schön. Ich melde mich wieder.«
Sie legte auf und haßte Ferguson in diesem Moment mehr, als sie in ihrem ganzen Leben je einen Menschen gehaßt hatte. Da hörte sie einen lauten, scharfen Ruf und fuhr herum und rannte ins Schlafzimmer.
Es war realer als alles, was er jemals geträumt hatte. Die Maschine war in einem katastrophalen Zustand, er wußte es, überall Löcher im Rumpf, Blech und Stahl klapperten in den Turbulenzen. Er roch Qualm und brennendes Öl. Seine Panik schenkte ihm Kraft, als
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