Die Stunde des Jägers - EXOCET
nicht mal geheim.«
»Sind Sie schon einmal da gewesen?«
»Gewiß. Mehr als einmal.«
»Und wie kommt man hin? Mit dem Flugzeug?«
»O nein, unmöglich. Es gibt keinen Platz zum La nden, das heißt, nicht ganz. Das Fliegerkorps der Armee hat es einmal geschafft, mit kleinen Maschinen bei Ebbe auf dem Strand aufzusetzen. Aber es war keine praktikable Lösung. Selbst Hubschrauber haben Schwierigkeiten, weil von den Klippen dauernd Böen herunterfegen. Das Wetter ist fast immer saumäßig, aber die Abgelegenheit der Insel war natürlich ein notwendiger Faktor. Meist kommt man per Motorboot aus St. Martin, einem Fischerdorf.«
Bobst nickte. »Angenommen, ich müßte wissen, was in der nächsten Woche oder so auf der Ile de Roc los ist. Könnten Sie es herausbekommen? Sind Ihre Kontakte noch heiß?«
»Sehr«, sagte Bernard. »Ich denke, ich könnte Ihnen in kürzester Zeit alle Informationen beschaffen, die Sie brauchen.«
Bobst schenkte nach. »Dieser Sancerre ist wirklich ausgezeichnet.« Er blickte zu Kemal hinüber. »Ich denke, wir nehmen noch eine Flasche.« Er zündete sich eine Zigarette an, lehnte sich behaglich zurück und sagte zu Bernard: »In Ord
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nung, und jetzt erzählen Sie mir etwas über die Insel. Was haben Sie zum Beispiel bei Ihrem letzten Aufenthalt gesehen und gehört?«
Wanda Jones war ein graziles Mädchen, dessen weiche Rundungen von einer weißen Seidenbluse und einem schwarzen Samtrock betont wurden, doch selbst die hochhackigen Pumps ließen sie kaum größer erscheinen, als sie war. Ihr Haar war schwarz, sie hatte große, beinahe mandelförmige Augen und einen kleinen Mund, der sehr erfahren wirkte. Sie machte einen ausgesprochen eleganten Eindruck, denn sie hatte – Bobsts Kardinalregel – als erstes lernen müssen, daß weniger fast immer mehr ist.
Sie war zu einem Viertel Negerin, was an ihrer Hautfarbe zu sehen war, und wenn sie den Mund aufmachte, war alle Eleganz dahin, weil sie immer noch ein recht vulgäres East-EndEnglisch sprach.
Bobst hatte sie eines Abends in Soho aufgelesen, wo ihr Freund recht brutal versucht hatte, sie auf den Strich zu schikken. Kemal hatte ihm zwei Rippen und den linken Arm gebrochen und ihn in einen Hauseingang geworfen, und Wanda sah sich unversehens in eine Welt des Luxus versetzt. Sie war damals erst sechzehn, aber Bobst hatte schon immer auf blutjunge Frauen gestanden. Sie hatte nur Angst, er würde ihr nun, wo sie das magische Alter von zwanzig Jahren erreicht hatte, den Laufpaß geben, in Anbetracht der Tatsache, daß sie ihn zu lieben glaubte, eine schreckliche Aussicht.
Als sie in der erlesen eingerichteten Wohnung in der Rue de Rivoli sein Arbeitszimmer betrat, saß er auf dem Drehstuhl an seinem Schreibtisch und studierte mit verschränkten Armen eine Generalstabskarte von Ile de Roc und dem Küstengebiet um St. Martin, die Kemal ihm am Nachmittag besorgt hatte. Vorhin, als sie miteinander geschlafen hatten, hatte er schon mit ihr über das Problem gesprochen. Er hatte nie etwas vor ihr geheimgehalten, und sie glaubte steif und fest, dies sei ein Be
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weis seines uneingeschränkten Vertrauens.
Sie stellte den Kaffee hin und legte ihm den Arm um den Hals. Abwesend fuhr er ihr mit der Hand unter den Rock und streichelte ihren Schenkel.
»Glaubst du, es könnte gehen?« fragte sie.
»O ja, es gibt immer einen Weg – man muß nur genau hinschauen.«
»Nikolaj und dieser Garcia sind da.«
»Gut.« Er drehte sich um, zog sie auf seine Knie und küßte ihren Nacken. »Ich habe Kemal gesagt, er soll ein Privatflugzeug chartern. Ich möchte, daß du gleich morgen früh nach St. Martin fliegst.« Er zeigte auf die Karte. »Sieh zu, ob du in der Nähe ein Haus für uns mieten kannst. Aber etwas Solides, das ab sofort frei ist, am besten eine schöne alte Villa. Dort muß es so etwas geben. In den Ferien fahren viele Leute in die Gegend.«
»Noch etwas?«
»Vielleicht später. Und jetzt bring Nikolaj und Garcia her.«
Sie verließ den Raum, und kurz darauf kamen die beiden Männer herein. Bobst stand auf und trat ans Fenster. Es bot einen herrlichen Blick auf die Stadt, der ihn immer wieder begeisterte.
»Gott sei Dank hat es endlich aufgehört zu regnen.«
Garcia begann ungeduldig: »Bitte, Senor Bobst. Sie sagten, Sie hätten Neuigkeiten für mich.«
Bobst drehte sich um. »Ich habe nicht gelogen. Es kann bald losgehen, mein Bester. Ich denke sogar, ich kann
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