Die Stunde des Jägers - EXOCET
geblieben wären, schienen sie nun wie über eine große Entfernung hinweg rufen zu wollen.
Sie wurde ein Auto gewahr, das vor ihr an den Randstein fuhr ein schwarzer Mercedes. Als sie herankam, ging die Fondtür auf, und Natascha Rubenowa schaute heraus. Sie sah erregt, sogar verängstigt aus.
»Tanja!«
Tanja ging auf sie zu. »Natascha, was willst du denn hier? Ist etwas passiert?«
»Bitte, Tanja. Einsteigen!«
Neben ihr saß ein junger Mann mir einem harten, unnachgiebigen Gesicht. Er trug einen blauen Anzug mit weißem Hemd
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und dunkelblauer Krawatte. Außerdem hatte er schwarze Lederhandschuhe an. Der Mann auf dem Beifahrersitz hätte sein Zwillingsbruder sein können. Die beiden sahen aus, als kämen sie von einem feinen Beerdigungsinstitut. Tanja fühlte sich auf einmal unbehaglich.
»Was hat das zu bedeuten?«
Im Nu war der junge Mann neben Natascha ausgestiegen, eine Hand umfaßte leicht, aber entschieden Tanjas Arm knapp überm Ellbogen. »Mein Name ist Türkin, Genossin – Peter Türkin. Und mein Kollege ist Leutnant Iwan Schepilow. Wir sind Offiziere des GRU. Kommen Sie bitte mit.«
Nachrichtendienst der sowjetischen Streitkräfte. Aus ihrem Unbehagen wurde nun Angst. Sie versuchte sich loszureißen.
»Bitte, Genossin.« Sein Griff wurde fester. »Wehren Sie sich nicht, Sie könnten sich verletzen. Heute abend haben Sie ein Konzert. Wir wollen doch Ihre Fans nicht enttäuschen.«
In seinen Augen war etwas Grausames, Perverses, das sie sehr beunruhigend fand. »Lassen Sie mich in Ruhe!« Sie versuchte ihm einen Schlag zu versetzen, den er mit Leichtigkeit abblockte. »Dafür werden Sie sich zu verantworten haben. Wissen Sie denn nicht, wer mein Vater ist?«
»Generalleutnant Iwan Maslowski vom KGB, auf dessen direkten Befehl ich handle. Seien Sie also brav und tun Sie, was ich sage.«
Der Schock war so heftig, daß sie keinen Willen zum Widerstand mehr aufbrachte und plötzlich neben Natascha saß, die den Tränen nahe war. Türkin stieg auf der anderen Seite ein.
»Zurück zur Botschaft!« befahl er dem Chauffeur.
Als der Mercedes anfuhr, umklammerte Tanja fest Nataschas Hand. Zum ersten Mal seit ihrer frühen Kindheit empfand sie echte Angst.
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Nikolai Be low war ein ansehnlicher Fünfziger mit dem etwas fleischigen Gesicht eines Menschen, der den Genüssen des Lebens mehr frönte, als seiner Gesundheit guttat; der Typ des guten Marxisten, dessen dunkler Anzug und Mantel in Lo ndons Savile Row maßgeschneidert worden war. Mit seinem silbernen Haar und der dekadent attraktiven Physiognomie erinnerte er eher an einen alternden, recht distinguierten Schauspieler als an einen Obersten des KGB.
Als dringende Dienstreise ließ sich die Fahrt nach Lyon kaum bezeichnen, aber sie hatte ihm die Gelegenheit geboten, Irana Wronski, seine Sekretärin, mitzunehmen. Da sie seit einigen Jahren auch seine Geliebte war, hatten die beiden zwei höchst angenehme Tage verbracht, doch die Erinnerung daran war rasch verblaßt, als er in die Botschaft zurückkehrte und feststellte, was ihn dort erwartete.
Kaum hatte er es sich in seinem Dienstzimmer bequem gemacht, kam Irana herein. »Dringender Spruch vom KGB Moskau, für dich persönlich.«
»Von wem?«
»General Maslowski.«
Der Name allein schon brachte ihn auf die Beine. Gefolgt von Irana ging er hinunter zur Nachrichtenabteilung, wo die Operatorin das entsprechende Band holte. Below tippte seine Kennummer ein, die Maschine surrte, die Operatorin riß das Blatt aus dem Drucker und reichte es ihm. Below las es durch und fluchte leise vor sich hin. Dann nahm er Irana am Ellbogen und zog sie aus dem Raum. »Schick mir sofort Leutnant Schepilow und Hauptmann Türkin. Sie sollen alles stehen- und liegenlassen.«
Below saß an seinem Schreibtisch beim Aktenstudium, als die Tür aufging und Tanja, Natascha Rubenowa, Schepilow
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und Türkin von Irana Wronski hereingeführt wurden. Below, der offiziell Erster Kulturattache der Botschaft war, kannte Tanja gut, da er sie in seiner Tarnrolle oft zu Gesellschaften begleitet hatte.
Er stand auf. »Nett, Sie einmal wiederzusehen.«
»Ich will wissen, was hier vorgeht!« fuhr sie ihn an. »Ich muß mich von diesen Rüpeln da vom Gehsteig zerren lassen und…«
»Ich bin sicher, daß Hauptmann Türkin so handelte, wie er es für richtig hielt.« Below nickte Irana zu. »Stellen Sie jetzt die Verbindung mit Moskau
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