Die Stunde des Jägers - EXOCET
merkte, wie spät es war, und nahm ab.
»Martin.«
»Alex? Hier Harry. Harry Fox.«
»Himmel noch mal! Du?« fragte Martin.
»Wie geht’s Joan und den Kindern?«
»Die sind für eine Woche in Deutschland bei Joans Schwester. Ihr Mann ist in Detmold bei deinem alten Verein Major.«
»Du bist also Strohwitwer? Ich dachte, du lägst schon im Bett.«
»Kam gerade von einer Gesellschaft zurück.« Inzwischen war Martin hellwach geworden, denn von früheren Erfahrungen her wußte er, daß dies kein Privatanruf war.
»Okay, Harry. Was gibt’s?«
»Alex, wir brauchen dich, und zwar dringend, aber in einer anderen Rolle als früher. Auf deiner Insel.«
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Alexander Martin lachte vor Erstaunen auf. »Hier auf Jersey? Soll das ein Witz sein?«
»Hast du mal von einer jungen Frau namens Tanja Woroninowa gehört?«
»Aber klar«, gab Martin zurück. »Eine der besten Konzertpianistinnen, die in den letzten Jahren aufgetaucht sind. Ich war in einem Konzert von ihr in der Royal Albert Hall. Mein Büro hält sich die Pariser Tageszeitungen. Wie ich lese, gibt sie dort eine Reihe von Konzerten.«
»Falsch«, sagte Fox. »Im Augenblick sitzt sie im Nachtzug nach Rennes. Sie will überlaufen, Alex.«
»Wie bitte?«
»Wenn sie Glück hat, erwischt sie in St. Malo das Tragflügelboot und kommt um acht Uhr zwanzig in Jersey an. Sie hat einen britischen Paß, ausgestellt auf den Namen Joanna Frank.«
Martin sah inzwischen klar. »Und du willst, daß ich sie in Empfang nehme?«
»Genau. Und dann sofort zum Flughafen bringst. Dort setzt du sie in die Zehn-Uhr-Maschine nach Heathrow, und das war’s. Wir holen sie dann hier ab. Wirft das irgendwelche Probleme für dich auf?«
»Natürlich nicht. Ich weiß, wie Sie aussieht. Ich glaube, ich habe sogar noch das Programmheft mit Bild von ihrem Konzert in der Albert Hall.«
»Ausgezeichnet«, meinte Fox. »Sobald sie in Rennes ist, ruft sie einen Kontaktmann von uns an. Wir richten ihr aus, daß du sie erwartest.«
Ferguson mischte sich ein. »Geben Sie mir mal den Hörer. Hier Ferguson.«
»Hallo, Sir.«
»Wir sind Ihnen sehr dankbar.«
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»Nicht der Rede wert, Sir. Nur eins: Was tut die Gegenseite?«
»Höchst unwahrscheinlich, daß die sich sehen läßt. Das KGB wird an allen naheliegenden Schlupflöchern sitzen: Charles de Gaulle, Calais, Boulogne. Kaum denkbar, daß ihm dieses hier eingefallen ist. So, ich gebe Sie jetzt an Harry zurück.«
»Wir bleiben in Verbindung, Alex«, sagte Fox. »Hier meine Nummer, falls es Probleme geben sollte.«
Martin schrieb sie sich auf. »Ist doch nur ein Klacks. Nette Abwechslung von meinem öden Leben als Anlageberater. Ich melde mich wieder.«
Er war nun völlig wach und bester Laune. An Schlaf war nicht mehr zu denken. Er goß sich einen Wodka mit Tonic ein, setzte sich ans Klavier und spielte weiter Bach.
Büro 5 war jene Abteilung der sowjetischen Botschaft in Paris, die sich mit der französischen KP, der Infiltrierung von Gewerkschaften und ähnlichem befaßte. Türkin sah sich dort eine halbe Stunde lang die Akten über St. Malo und Umgebung an, kehrte aber mit leeren Händen zu Below zurück.
»Der Haken, Genosse«, sagte er zu Below, »ist die Unzuverlässigkeit der französischen KP. Wenn es darauf ankommt, stellen die Franzosen die Interessen ihres Landes vor die Partei.«
»Ich weiß«, gab Below zurück. »Das liegt an ihrem angeborenen Glauben an ihre Überlegenheit.« Er wies auf Papiere, die er auf seinem Tisch ausgebreitet hatte. »Ich habe mir Jersey gründlich angesehen. Die Lösung ist einfach genug. Kennen Sie den kleinen Flugplatz außerhalb von Paris? Wir haben ihn auch schon benutzt.«
»Croix?« fragte Türkin. »Mit Lebels Air-Taxis?«
»Genau. Jerseys Flughafen wird früh geöffnet. Sie könnten um sieben dort landen und hätten genug Zeit, zum Hafen zu fahren und sie abzufangen. Ihnen steht die übliche Auswahl an
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Pässen zur Verfügung. Sie können als französische Geschäftsleute reisen.«
»Und wie bringen wir sie zurück?« wollte Türkin wissen. »Auf der Rückreise müssen wir am Flughafen Jersey durch Zoll- und Paßkontrolle. Das geht unmöglich. Sie könnte viel zu leicht Aufsehen erregen.«
»Verzeihung, Genosse Oberst«, warf Schepilow ein, »aber ist es denn wirklich nötig, daß wir sie überhaupt mit zurückbringen? Schließlich kommt es doch nur darauf an,
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