Die Stunde des Reglers: Thriller (German Edition)
Moment das aufregende Gefühl gehabt, auf der richtigen Spur zu sein. Der Alte hatte ihm noch erläutert, wie sich die ursprünglichen Mitglieder von »Anima« zurückgezogen hatten. Wie sie neue, noch besser abgeschirmte Chatrooms und Foren eröffnet hatten. Sie hatten sogar zwei anonyme Hinweise an die Genfer Polizei gegeben, aber die waren wohl untergegangen.
»Das war dann nicht mehr unsere Sache, fanden wir jedenfalls, vielleicht war das falsch«, sagte der Wissenschaftler. »Wir wollten vor allem unsere Gruppe schützen und geheim bleiben. Wir haben zwei sehr gute Computerleute, die haben das gemacht. Aber einer von ihnen ist diesen neuen Leuten mal nachgegangen, elektronisch nachgegangen. Und er war plötzlich in einem Kommunikationsstrang gelandet, der mehr als bedenklich war, da ging es um Waffen und Foltertechniken, das hatte mit der Aktion gegen das CERN gar nichts mehr zu tun. Aber es waren dieselben Leute.«
»Können Sie mir das zukommen lassen?«, hatte Kanu-Ide gefragt. Und das war wahrscheinlich der Fehler gewesen. Spätabends hatte er den Link geschickt bekommen. Und mitten in der Nacht hatte der alte Physiker ihn noch angerufen. »Seien Sie bloß vorsichtig«, hatte er gesagt. »Diese Leute sind unheimlich. Das sind Killer.«
Der Pfad hatte zu nichts mehr geführt, die Mails waren längst gelöscht worden. Aber nun hatte er selbst eine digitale Spur hinterlassen. Und heute Morgen die Sache mit Amy. Als er ihr von seinem Auftrag erzählt hatte und die Rue Mantour erwähnte, hatte sie plötzlich gesagt: »Da habe ich was hingeliefert, ein Päckchen. Ich hab es vorher bei einer Adresse ziemlich draußen am Stadtrand abgeholt.« Sie hatten in den Karten nachgesehen, die der Sensor gemalt hatte. Und er hatte ungläubig auf die Adresse gestarrt. »War das ein alter, weißhaariger Mann, der dir das Päckchen gegeben hat?« »Nein, der war so mittel. Zehn Jahre älter als du, würde ich sagen«, hatte Amy geantwortet. Er war noch mal hingefahren zu dem Reihenhaus. Und hatte geklingelt. Aber der alte Physiker hatte nicht geöffnet. Die Rollläden waren heruntergelassen gewesen. Als er wieder in den Wagen gestiegen war, war ihm zum ersten Mal der Mitsubishi aufgefallen.
Er hätte nicht auf diesen Waldweg abbiegen sollen. Was für ein Schwachsinn. Aber da war er schon nervös gewesen, hatte überlegt, ob ihn der Wagen verfolgte. Er war auffällige Umwege gefahren, weit raus aus der Stadt. Eigentlich hatte er nur sichergehen wollen, dass er eben nicht verfolgt würde. Deshalb war er abgebogen, in diesen Weg, weil es doch irgendwie so sein musste, dass der Mitsubishi einfach geradeaus weiterfahren würde. Man war doch nicht im Film, verdammt! Aber der Wagen war nicht weitergefahren, er war auch abgebogen. Und hinter ihm geblieben, auf dem immer schmaler werdenden Weg, bei immer höherem Tempo.
Der Mann mit der Pistole griff jetzt mit der freien Hand in die Brusttasche seines Kittels und holte sein Handy hervor. Mit einem kurzen Seitenblick schaltete er eine Funktion ein. Wenn es nicht so absurd gewesen wäre, hätte Kanu-Ide gedacht, der Mann wollte ein Foto machen. Doch genau das tat er jetzt. Er richtete zwei Geräte gleichzeitig auf Kanu-Ides Gesicht. Die Pistole, jetzt etwas von der Seite, damit sie besser im Bild war, und das Handy von vorne.
Klack.
Das war der Fotoauslöser, nicht die Pistole. Das Gehirn des Mathematikers Gilbert Kanu-Ide registrierte jedes Detail, die Bewegung jedes Fingers, jeden Blick, alles. Der Mann sandte das Foto an jemanden. Und dann schickte er sich an, ein zweites Bild zu machen. Diesmal galt seine Aufmerksamkeit aber mehr der präzisen Ausrichtung des Schalldämpfers als der Kamera. Es war unschwer zu erraten, welches Bild dem ersten folgen sollte.
Teil 3
Schuld
1
Orionnebel
Jedes Mal, wenn er die Augen öffnete, sah er dasselbe Bild vor sich. Nur ein paar Sekunden lang, dann schlief er wieder ein. Das Bild zeigte einen Garten mit hohen Bäumen, im Hintergrund war eine Terrasse mit Tischen und Stühlen. Er kannte diesen Garten und diese Terrasse, er wusste, dass sich unmittelbar daneben, außerhalb des Bildes, das Gebäude erhob mit dem geschwungenen altmodischen Schriftzug Zum blauen Mondschein . Aber mit dem Bild stimmte etwas nicht, irgendetwas war falsch … Schlafen, wieder schlafen. Warum war er so unendlich müde?
Das war die erste Information, die Gabriel Tretjaks Gehirn verarbeitete: ein Bild vom Garten des Hotels, wo er aufgewachsen war. Die zweite
Weitere Kostenlose Bücher