Die Stunde des Spielers
Vegas-Träume waren Wirklichkeit geworden. »Dann kannst du mich also richtig schick zum Abendessen ausführen, stimmt’s?«
Er griff nach meiner Hand. »Genau das ist der springende Punkt. Es ist ein Turnier via Satellit mit einer Startgebühr von fünfzig Dollar gewesen. Ich habe zwar noch kein Geld, wohl aber einen Platz in dem Turnier am Samstag gewonnen. Der erste Preis ist eine halbe Million.«
Ich war froh, dass ich bereits saß. »Du bist ein Pokerass. Das wusste ich ja gar nicht.«
»Bin ich nicht«, sagte er. »In einem Spiel unter Freunden schaffe ich es gewöhnlich, nichts zu verlieren. Das hier habe ich aus einer Laune heraus gemacht, weil es eine Möglichkeit war, für relativ wenig Geld viel zu pokern. Ich hätte die fünfzig Mäuse verloren und wäre dann weitergezogen. Aber ich habe nicht verloren.«
»Du hast also Glück gehabt. Das ist toll.« Doch an der Sache war mehr dran, sonst säße er nicht hier und sähe aus, als hätte ihm jemand eins mit dem Hammer übergezogen.
Er schüttelte den Kopf. »Nein. Da war ... etwas. Ich konnte die Leute deuten. Konnte sie vollständig durchschauen. Ich wusste, was sie machen würden, ich habe ihnen angesehen, wenn sie nur geblufft haben. Alles. Und ich lag nie falsch.«
»Du hast also auf einmal praktischerweise hellseherische Fähigkeiten entwickelt?«
Er sah mich an, und diesmal lächelte er, ein hinterlistiges, schiefes Grinsen. »Ich konnte es riechen. Ich konnte hören, wie ihr Herz schneller schlug. Spürte, wie ihre Muskeln zuckten, wenn sie die Karten bloß ein klein wenig fester umklammerten. Es war ... unglaublich. Verblüffend. Das gehört zum Pokern, man hält immer nach verräterischen Anzeichen Ausschau und versucht, die eigenen zu verbergen. Aber das waren Dinge, die den meisten Leuten noch nicht einmal bewusst sind, geschweige denn dass sie sie unterdrücken können. Und ich konnte das alles erspüren.«
»Das ist der Wolf. Der Wolf hat das alles gewittert.«
»Es war, als wäre ich auf der Jagd«, sagte er.
Ich wusste ganz genau, wovon er sprach. Als Wölfe gingen wir auf die Jagd. Bei Vollmond verschwanden wir immer in der Wildnis und suchten nach Beute. Unsere Sinnesorgane - Geruch, Gehör, Geschmack - ermöglichten es uns, der kleinsten Spur zu folgen, ließen uns wissen, wenn ein Kaninchen zusammenzuckte, bevor es losrannte.
Unsere menschliche Seite bewahrte sich einen Teil dieser Fähigkeiten.
Anscheinend hatte Ben sich seiner verbesserten Sinne bedient, um beim Poker zu gewinnen.
»Das ist echt witzig«, sagte ich.
»Ich weiß, beinahe hätte ich mich verraten, konnte nun gerade noch das Lachen verbeißen. Ich glaube, die an- deren haben sich das Ganze damit erklärt, dass ich ein durchgeknallter Tourist mit einer unglaublichen Glückssträhne bin.«
»Tja, herzlichen Glückwunsch. Hey, Moment mal - du hast gesagt, das Turnier findet am Samstag statt? Um wie viel Uhr?«
Jetzt sah er wirklich aus, als habe er in einen sauren Apfel gebissen. »Zwei Uhr nachmittags.«
Unser Hochzeitstermin. Er wollte doch wohl nicht allen Ernstes unsere Hochzeit schwänzen, um Poker zu spielen?
Ben sprach rasch weiter. »Ich habe bereits in der Kapelle angerufen, sie können uns auf achtzehn Uhr verschieben. Es sind bloß ein paar Stunden. Wenn es dir recht ist. Ist es dir recht? Es tut mir wirklich leid. Kitty - sag doch was.«
Würde das hier jemand anderem passieren, wäre es lustig. Das sollte mir eine Lehre sein. Ich lehnte mich zu ihm und küsste ihn, was ihn zum Schweigen brachte. Er blinzelte überrascht. Es war schön zu sehen, dass ich ihn immer noch ins Schwitzen bringen konnte. Dann legte er die Arme um mich, ganz der brave Freund.
»Du bist nicht sauer?«, fragte er, nachdem er Luft geholt hatte.
Ich legte ihm die Arme um die Schultern. »Ich könnte sauer werden und mich wie eine kleinliche, verwöhnte Freundin aufführen, oder mich damit abfinden. Ich werde letzteres tun. Denn, hey, wenn du die Chance hast, eine halbe Million zu gewinnen, werde ich doch wohl keinen Streit wegen so einer Kleinigkeit wie einer Hochzeit vom
Zaun brechen! Aber es könnte sein, dass ich von dir verlange, dass du es meiner Mutter erklärst.«
»Wahrscheinlich werde ich noch nicht einmal gewinnen. Ganz bestimmt bleibe ich gar nicht so lange im Spiel Ich werde schon in der ersten halben Stunde aus dem Rennen sein. Dann gehöre ich ganz dir.«
»Du gehörst mir bereits. Ich verleihe dich bloß kurzzeitig.« Ich umarmte ihn fester, zog mich an
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