Die Stunde des Spielers
willst, ist das in Ordnung. Deine Mutter und ich möchten uns bloß vergewissern, dass du die Sache verkraftest. Nur ein Drink in der Hotelbar. Okay?«
Ich konnte nichts dagegen einwenden. Wie machte er das? »Okay. Ich bin gerade in der Bar. Aber gebt mir eine
halbe Stunde.«
»Wir kommen gleich runter«, sagte er.
»Nein, in einer halben Stunde ...« Doch er hatte bereits aufgelegt. Großartig. Das hier würde interessant werden.
Ich setzte mich auf einen Hocker und bestellte ein Soda. Mir war gar nicht bewusst gewesen, wie sehr mein Mund ausgetrocknet war. Adrenalin und Nervosität entzogen einem wirklich Flüssigkeit. Ich musste fit bleiben, wenn ich Ben finden wollte.
Während ich mit den Eiswürfeln spielte, beobachtete ich den Eingang. Ich ging davon aus, dass die heimliche Tagung-innerhalb-einer-Tagung immer noch im Gange war. Irgendwann würde einer von ihnen hier vorbeikommen. Ich würde ihn sehen und mich auf ihn stürzen. Immer noch hatte ich das Gefühl, eine Zielscheibe aufgemalt zu haben. Ich klopfte mit den Füßen auf den Boden, bemühte mich noch nicht einmal, nicht nervös auszusehen. Erinnerte mich an Brendas Ultimatum: Sobald sie Krallen sieht, wird geschossen. Und ich konnte ihr nicht den geringsten Vorwurf machen.
Das hier waren nicht meine Art Leute. Ich hatte keine Ahnung, wie ich mit Menschen umgehen sollte, die mich erschießen als ansehen würden. Na ja, eigentlich wusste ich es schon. An dem Abend, als ich Cormac zum ersten Mal begegnet war, hatte ich es fertiggebracht, ihn zu überreden, mich nicht abzuknallen. Ich wünschte, Cormac oder Ben wären hier, um mit ihnen zu sprechen. Doch wenn sie hier wären, hätte ich es nicht nötig, Evan und Brenda die Stirn zu bieten, nicht wahr?
Ich hatte mich an die Vorstellung gewöhnt, dass mir ein Rudel - Menschen, Werwölfe, beides zusammen - zur Seite stand, mir half, auf mich achtete. Ich wollte nicht wieder allein sein. Wölfe gehörten in Rudel.
Immer wieder überprüfte ich mein Handy für den Fall dass ich einen Anruf verpasst hatte. Dem war nicht so. Ich wollte, dass Gladden anrief und mir sagte, alles sei in Ordnung. Nach einer Weile beugte sich die Barkeeperin zu mir und fragte: »Hat er dich sitzenlassen oder so was?«
Nachdem ich die Frage verarbeitet hatte, wusste ich merkwürdigerweise nicht so recht, wie ich antworten sollte. »Noch nicht«, sagte ich schließlich.
Sie zuckte mit den Schultern und machte sich wieder an ihre Arbeit, als sei dies nicht das Merkwürdigste, das an diesem Tag passiert war.
Als Evan endlich auftauchte, wäre ich beinahe vom Stuhl gefallen. Ich hielt mich gerade noch fest, holte Luft und gab mich cool. Jedenfalls hoffte ich das.
Er unterhielt sich mit einem anderen Mann, den ich nicht wiedererkannte. Sie wechselten ein paar Worte vor der Bar, schüttelten sich die Hände, der andere Kerl ging. Handel abgeschlossen, wie es aussah. Ich hatte schon Angst, dass Evan ebenfalls gehen würde, so dass ich ihm nachjagen müsste. Doch das tat er nicht. Er betrat die Bar und hielt auf eine Sitzgruppe im hinteren Teil zu.
Ich pirschte mich an ihn heran.
Er sah aus, als würde er sich gleich auf die Bank gleiten lassen, doch er tat es nicht, denn sein Körper war auf die falsche Art und Weise angespannt, so gebogen, dass er sich über die Schulter sehen konnte; also wusste er, dass ich ihm folgte. Das war in Ordnung. Ich gab mir keine Mühe, unauffällig zu sein.
Ich blieb im selben Augenblick stehen, in dem er sich umdrehte, wobei er sich unter die Jacke griff, zweifellos nach einer Waffe in einem Schulterhalfter. Er erstarrte und sah mich unverwandt mit einem kalten Blick an. Sein Mund war fest geschlossen.
»Weißt du was«, sagte ich. »Ich gebe zu, dass du nicht dumm genug bist, hier drin zu ziehen und zu schießen, und du gibst zu, dass ich nicht dumm genug bin, mir Krallen wachsen zu lassen.«
Er entspannte sich langsam. Die Hand, die er aus seiner Jacke hervorzog, war leer. Doch die Maske, der entspannte Lebemann, den ich bei unserer ersten Begegnung zu sehen bekommen hatte, war verschwunden, und jetzt trug er die eisige Miene zur Schau, die ich von Cormac kannte. Der Jäger war zum Vorschein gekommen.
Langsam kehrte die Maske zurück, und er wirkte gelassen, als er endlich etwas sagte. »Erzähl mir bloß nicht, dass du hier nur auf mich gewartet hast.«
Ich lächelte.
»Sollen wir uns setzen? Da es da offensichtlich etwas gibt, das du besprechen möchtest.« Er wies auf die
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